Muss ich denn schon wieder verreisen?
warten, stehen ein mit prächtiger Schabracke und bunten Troddeln aufgezäumtes Kamel und sein nicht minder prächtig kostümierter arabischer Besitzer. Drum herum sind unzählige Interessenten, die erst auf das Kamel und dann fotografiert werden wollen. Die Kamera hat man selbst mitzubringen, für einen Platz auf dem Kamel muß man zahlen. Und das nicht zu knapp!
Um das Kamel herum, doch in gebührendem Abstand, damit sie den Fotografierwütigen nicht vors Objektiv stolpern, haben fliegende Händler ihre Stände aufgebaut – rein strategisch gesehen ein sehr günstiger Platz, denn die Wartenden müssen ja irgendwie beschäftigt werden. Aber in orientalischen Ländern ist es üblich, daß man feilscht. Bevor sich nun die Parteien auf einen für beide Teile akzeptablen Preis geeinigt haben, ist das Kamel endlich frei, woraufhin der potentielle Kunde sich von der beinahe echten Perserbrücke oder der Glaskugel mit dem Felsendom im Schneegestöber abwendet und – begleitet von den zwar unverständlichen, doch mimisch sehr ausdrucksvollen Verwünschungen des enttäuschten Verkäufers – das Kamel erklimmt.
Von unserer Gruppe hatten nur die Lodenschwestern und Betti diesen Wunsch. Nach längerem Zögern kletterte auch noch Ännchen hinter den Höcker. Heini filmte.
»Außer im Zoo hat er bestimmt noch nie so viele Kamele auf einmal im Bild gehabt«, murmelte Gregor. Heini nickte zustimmend.
Den wenig schmeichelhaften Kommentar hatte Ännchen zum Glück nicht gehört, denn ein verkrachtes Pärchen hatten wir ja schon. Uwe hatte heute früh seinen angestammten Platz am Frühstückstisch mit Verena getauscht, Betti wollte aber nicht neben Verena sitzen, also tauschte Gregor seinerseits mit Betti, und auf diese Weise hatte ich sie plötzlich neben mir gehabt. »Da hat’s in der Nacht einen Mordskrach gegeben«, legte sie auch sofort los. »Ich habe ja nicht alles verstanden, aber die Claudia ist später heimgekommen als der Uwe, und der Jens hat erzählt, sie ist plötzlich weg gewesen.«
Nach dem relativ kurzen Abstecher in die gehobene Hotellerie waren die meisten in unsere wesentlich bescheidenere Herberge zurückgefahren, während die Unentwegten den Abend als gerade erst angefangen bezeichnet hatten und weitergezogen waren. Was nun genau passiert war, wußte Betti noch nicht, aber sie würde es bestimmt herauskriegen.
Staubig, fußlahm und ausgedörrt wankten wir ins Hotel. »Jetzt zwei Stunden in die Heia«, sagte ich freudig beim Anblick unseres Doppelbettes, hatte jedoch nicht Irenes Stehvermögen einkalkuliert.
»Schlafen kannst du, wenn wir wieder zu Hause sind. Nimm ’ne kalte Dusche, zieh dir was Frisches an, und dann gehen wir auf Entdeckungstour in die Altstadt.«
»Da zotteln wir morgen doch sowieso durch.«
»Ja, durch die Kirchen! Ich will aber endlich mal etwas anderes sehen!«
Genaugenommen wollte ich das auch, und überhaupt ist Schlafen nur eine dumme Angewohnheit. Napoleon ist mit vier Stunden pro Nacht ausgekommen, und der hat fremde Länder erst erobern müssen, bevor er sie besichtigen konnte. Allerdings hatte er ein Pferd gehabt, und das hatten wir nicht.
Eine halbe Stunde später tauchten wir, bewaffnet mit Stadtplan, Fotoapparat und Brustbeutel, in das Gewimmel der Altstadt. Den Teelöffel hatte Irene im Hotel gelassen, statt dessen hatte sie eine kleine Dose Abwehrspray in die Tasche gesteckt. »Blumen zum Ausbuddeln werde ich wohl kaum finden, doch falls uns jemand an die Wäsche will, bin ich gerüstet.«
Die Altstadt von Jerusalem betritt man immer durch eins der zahlreichen Tore, weil das ganze Areal von der alten Stadtmauer begrenzt wird. Sie ist noch erstaunlich stabil. Hat man dem Angebot der fliegenden Händler unter dem Torbogen widerstanden und auch um die ambulanten Geldwechsler einen Bogen gemacht, dann befindet man sich nach wenigen Schritten mitten im Orient. Insgeheim habe ich die ganze Zeit damit gerechnet, dem Kalifen Harun-al-Rashid zu begegnen oder wenigstens einer Sänfte mit einer verschleierten Prinzessin drin.
»Wo fangen wir denn jetzt an?«
Irene zog mich etwas zur Seite und entfaltete den Stadtplan. »Am besten links, da kommen wir zur Klagemauer und zum Tempelberg.«
Nach fünf Minuten hatten wir uns zum erstenmal verlaufen. Es gibt ja kaum Straßen, nur Gassen, die münden in andere Gassen, die nächste wird zum Gäßchen, dann kommt eine Art Mauerdurchbruch, man steht plötzlich in einem Hinterhof, kehrt erschrocken um, läuft zurück, verfehlt die
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