Muss ich denn schon wieder verreisen?
richtige Gasse, rennt in die nächste, und fragt man jemanden nach dem Weg, dann spricht der kein Englisch. Straßenschilder? Manchmal gibt es eins – in Hebräisch. Oder vielleicht war es auch arabisch, ich kann beides nicht.
»Einen Kompaß hätten wir gebraucht statt dieses dämlichen Plans«, schimpfte ich, als wir wieder an einer Ecke standen und nicht wußten, wohin. »Kannst du dich noch an unsere Geländemärsche während der BDM-Zeit erinnern? Wo jetzt die Sonne steht, müßte Süden sein.«
»Isses ja auch, aber weißt du, in welcher Himmelsrichtung der Tempelberg liegt?«
»Im Osten! Sieh dir doch den Stadtplan an.«
»Richtig. Und wo stehen wir?«
»Dußlige Frage. Das wissen wir doch nicht.«
»Eben!«
Wie lange wir durch die zum Teil kaum zwei Meter breiten Gassen geirrt sind, kann ich nicht mehr sagen, doch endlich erreichten wir einen großen Platz, auf dem sich Touristengruppen ballten, Fotografen sich gegenseitig auf die Füße traten, Soldaten auf- und abmarschierten und Kinder schreiend durch die Gegend tobten. Hinter einer hohen Steinwand lugte eine goldene Kuppel hervor.
»Ich weiß nicht genau wie, aber ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt.« Einige Minuten lang hatten wir das Getümmel beobachtet, bevor wir uns auf den Platz wagten. »Die Klagemauer ist doch eines der bedeutendsten jüdischen Heiligtümer, aber jetzt geht’s hier zu wie auf einem Rummelplatz. Und trotzdem stehen da drüben die Männer und beten. Verstehst du das?«
Irene verstand es auch nicht. Statt sakraler Stille Lachen und Stimmengewirr, von dem sich die Betenden jedoch nicht ablenken ließen. Das Gesicht den Steinen zugewandt, wiegten sie sich vor und zurück, dicht vor den Augen das Gebetbuch, auf dem Kopf den traditionellen schwarzen Hut oder – bei den Nichtorthodoxen – die Yarmulke.
Eigentlich hatten wir uns die dicken Quadersteine nur mal von nahem ansehen wollen, doch dann entdeckten wir in manchen Ritzen zusammengefaltete Papierstückchen. »Toter Briefkasten«, entschied ich sofort, Spionage, Konspiration… schließlich waren wir in Jerusalem, wo man immer noch dabei war, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. War nicht erst vor zwei Tagen ein junger Israeli hinterrücks erschossen worden? Nach vorsichtigem Rundumblick zupfte ich einen Zettel heraus und faltete ihn auseinander. »Jetzt sollte man hebräisch lesen können!«
»Steck sofort das Papier zurück!« befahl Irene. »Und komm bloß nicht auf die Idee, einen Kriminalroman schreiben zu wollen! Wahrscheinlich ist das hier nichts anderes als ein Spruch, ein Gebet oder etwas ähnlich Harmloses. Ein echter Spion würde seine Nachricht bestimmt an einem weniger öffentlichen Ort deponieren.«
»Eben nicht!« So schnell ließ ich mich von meiner Entdeckung nicht abbringen. »Vierte Reihe von unten, sechster Quader von links – wem würde es denn auffallen, wenn sich jemand an der Mauer zu schaffen macht???«
»Jetzt spinnst du wirklich!«
Davon überzeugte mich erst Menachem, den ich am nächsten Tag nach den geheimnisvollen Zettelchen fragte. »Das sind nichts anderes als schriftliche Bitten – um Gesundheit, um Frieden oder auch um den Sieg beim nächsten Basketballspiel. Wir Juden sind nämlich auch nicht immer nur fromm!«
Vor und auf der Rampe, die neben der Klagemauer auf den Tempelberg führt, drängten sich Menschenmassen. »Müssen wir denn jetzt da rauf?«
»Nee, müssen wir nicht«, sagte Irene sofort. »Der Felsendom gehört zum offiziellen Besichtigungsprogramm, also werden wir ihn morgen sowieso kennenlernen. Ich finde, für heute reicht es mit Kultur und Religion. Jetzt stürzen wir uns ins Vergnügen. Auf in den Basar – Souvenirs kaufen.«
Der Jerusalemer Basar ist noch größer, verwinkelter, unübersichtlicher als der von Akko, doch das war uns egal. Wir hatten genug Zeit, und irgendwann würden wir aus diesem Labyrinth auch wieder hinausfinden. Außerdem war es in den überdachten Gassen und vor allem in den Gewölben angenehm kühl.
Der ganze Basar ist eine Mischung aus Flohmarkt, Einkaufszentrum und Großmarkthallen. Neben armseligen Bretterbuden mit Ramschartikeln findet man richtige Geschäfte, deren Schaufensterauslagen mit denen in der Neustadt manchmal sogar konkurrieren können. Irene verliebte sich auch sofort in eine Kette, doch nach zwanzigminütigem Feilschen und achtzig Mark Preisnachlaß erschien sie ihr immer noch zu teuer. »Von wegen Handarbeit! Das einzig Handgefertigte daran ist das
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