Muss ich denn schon wieder verreisen?
abhanden jekommen.«
»Mir auch.«
»Is ja ooch keen Wunda bei det Jedrängel hier. Ick hab’ bloß mal in den Laden mit de T-Shirts jeguckt, und schon war’n se alle weg. Det wär ja nich weita schlimm, in’t Hotel finde ick ooch alleene, aba nach die Besichtigung von die letzte Kirche jeht’s noch weita. Mit’m Bus in die Wüste, abends erst zurück. Da wär ick ja nu jern mitjefahr’n.«
Das konnte ich ihm nicht verdenken. Ein kleiner Spaziergang barfuß durch weichen Sand mit viel Weite drum herum – im Moment nur eine schöne Fata Morgana. Die Realität dagegen bestand aus Kopfsteinpflaster, von dem man vor lauter Füßen kaum etwas sah, und aus Geschäften rechts und links, die nicht mal Devotionalien anboten. Zumindest das hätte man auf der Via Dolorosa doch erwarten können.
»Was halten Sie davon, wenn wir uns zur Grabeskirche vorarbeiten?« schlug ich dem immer noch auf seinem Stein herumturnenden Mann vor. »Soviel ich weiß, ist das die Endstation der Pilgerstraße. Da finden Sie Ihre Gruppe bestimmt, und meine wird wohl inzwischen auch angekommen sein.«
»Jrabeskirche?« Ächzend hüpfte der Dicke von dem Mäuerchen. »Is det dieser fürchterliche Kasten, wo die Straße bergauf jeht?«
»Keine Ahnung, ich bin noch nicht dagewesen.«
»Na, denn hab’n Se wat versäumt. So ’ne verschachtelte Kirche hab’ ick noch nie jesehn. Da weeß man schon von außen nick, wie det allet zusammenjehört. Nu bin ick richtich neujierig, wie det drinnen aussieht. Ick jloobe, da valooft man sich.«
Darin hatte ich ja schon Übung. Trotzdem entschloß ich mich, die allzu belebte Via Dolorosa zu verlassen, um auf einer der parallel laufenden Gassen besser voranzukommen. Weiter oben würde ich auf einer Querstraße wieder auf den ursprünglichen Weg zurückgehen. Soweit die Theorie.
In der Praxis standen wir plötzlich vor dem Jaffa-Tor, zu dem wir gar nicht gewollt hatten, doch dann hatte mein Begleiter, wie ein Hündchen hinter mir hertrottend, die Erleuchtung. »Det kenn ick wieda! Nu müssen wa halbschräg nach links, da muß et sein.«
Und da war es auch, das riesige Bauwerk, halb Kirche mit Turm, halb Moschee mit Kuppeln, ein bißchen romanisch, ein bißchen gotisch, ein bißchen überhaupt kein Stil – hier ein eckiger Anbau, da ein Rundbogen, kleine Fenster, zum Teil von Schießschartengröße –, das Ganze ähnelte mehr einer Festung als einer Kirche.
Während sich Herr Pimkow auf die Suche nach seiner Reisegesellschaft begab, hatte ich die Meinen sofort entdeckt. Allem Anschein nach waren sie eben erst angekommen, denn Menachem erzählte gerade Einzelheiten über die Entstehung des Bauwerks. Kaiser Konstantin (ich weiß bloß nicht mehr, welcher, es hat ja einige gegeben) hatte die römischen Tempel abreißen und würdigere Stätten errichten lassen, so auch eine Basilika, die allerdings im 12. Jahrhundert zerstört wurde. Dann kamen die Kreuzfahrer – natürlich, wer sonst?! – und bauten eine neue. Die wiederum fiel einem Feuer zum Opfer, woraufhin ein weiterer Rundbau entstand, an den immer wieder irgendwo etwas angebaut wurde.
Von zerstörten und neu errichteten Gotteshäusern hatten wir im Laufe unserer Fahrt schon genug gehört, doch die komplizierten Besitzverhältnisse dieser Grabeskirche waren ein Novum für uns.
Bisher war ich immer der Ansicht gewesen, eine Kirche sei Eigentum desjenigen, der ihren Bau veranlaßt hat – also der Kölner Dom der katholischen Kirche, die Westminster-Abtei der anglikanischen und so weiter. Die Jerusalemer Grabeskirche dagegen gehört verschiedenen Konfessionen, deren Anteile sogar in Prozentzahlen festgelegt sind. Den größten Teil beanspruchen die Griechisch-Orthodoxen, gefolgt von der römisch-katholischen Kirche. Ein paar Prozent haben auch die Armenier, die Kopten, die Syrer und die Abessinier: Vermißt habe ich nur die Protestanten, bis mir einfiel, daß es die damals ja noch gar nicht gegeben hat. Weil sich nun aber die Vertreter der einzelnen Konfessionen häufig in den Haaren liegen, oft nur wegen unbedeutender Kleinigkeiten, hat man vor über hundert Jahren die Schlüsselgewalt über diese Kirche in die Hände moslemischer Familien gelegt. Eine wahrhaft salomonische Entscheidung!
Über das Innere möchte ich mich lieber nicht äußern. Es gibt zu viele Kapellen, in die man hinauf-, und zu viele Grabkammern, in die man hinuntersteigen muß, gar nicht zu reden von den unzähligen Altären, deren Ausgestaltung mit zum Teil indirekter
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