Muss ich denn schon wieder verreisen?
in Betti mütterliche Instinkte erwacht sind? Ganz offensichtlich hat sie unseren Bonsai-Rambo unter ihre Fittiche genommen. Uwe hier und Uwe da. Paß auf, morgen früh schmiert sie ihm die Butterstullen.«
Am liebsten wäre ich in dieser stillen Oase noch ein Weilchen sitzen geblieben, doch Irene drängte zum Aufbruch. »Nach so viel Christentum freue ich mich jetzt richtig auf den moslemischen Teil des Tages.«
Der war aber noch gar nicht dran. Erst kam die Klagemauer: Und die war abgesperrt. Transportable Zäune riegelten das ganze Areal vor der Mauer ab. Innerhalb des großen Gevierts drängten sich Menschen um kleine weiß gedeckte Tische, und außerhalb des Zaunes standen noch mehr Leute, die meisten mit Fotoapparaten vorm Gesicht.
»Was ist denn hier los?« wunderte sich Jens. »Picknick mitten in der Stadt?«
»Nein, Bar-Mizwa-Feier«, erläuterte Menachem. Das sei so etwas Ähnliches wie unsere Konfirmation, bei der die jungen Menschen in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen werden.
Da standen sie nun vor den einzelnen Tischen, die etwa zwölfjährigen Kinder in ihren Sonntagsanzügen mit Gebetsschal und -riemen, neben sich ihren Rabbiner, drum herum die männliche Verwandtschaft – die weibliche muß draußen bleiben –, und beteten endlose hebräische Texte herunter. Man sah ihnen richtig die Erleichterung an, wenn sie es geschafft hatten, ohne hängenzubleiben.
»Wieso sind dort nur Jungs zu sehen?«
Bar-Mizwa sei eine Feier lediglich für Knaben, sagte Menachem. Das fand ich ungerecht. »Noch nie etwas von Gleichberechtigung gehört?«
Er grinste. »Als dieses Ritual festgelegt wurde, gab es noch keine Emanzipation.«
»Aber sonst habt ihr sie doch! Eure Mädchen müssen zum Militär, unsere nicht.«
»Wir leben auch immer im Krieg. Ihr nicht.«
Was soll man dem entgegenhalten?
Die unterschwellige Angst vor Ausschreitungen bekamen wir zu spüren, als wir über die Rampe auf den Tempelberg wollten. Auf halber Höhe hielten uns bewaffnete Soldaten an.
Handtaschenkontrolle. Am längsten dauerte sie bei Betti, weil die immer eine halbe Apotheke mit sich herumschleppte, zum Teil in artfremden Behältnissen, und die mußten erst genau überprüft werden. Endlich durften wir passieren.
Der Felsendom. Hundertmal auf Fotos gesehen, kaum weniger häufig auf der Mattscheibe, doch was sind schon Abbildungen gegen das Original. Es ist zweifellos das schönste Bauwerk von Jerusalem. Dagegen mutet die El-Agsa-Moschee direkt ärmlich an, zumindest von außen – ein zwar riesiger, doch schmuckloser rechteckiger Bau, der erst im Innern seine Schönheit entfaltet. Säulen trennen die einzelnen Schiffe, darüber erheben sich Arkaden, ergänzt von jahrhundertealten Mosaiken. Dicke Teppiche bedecken den Boden.
Vor dem Betreten der Moschee hatte es eine Debatte gegeben, ob man nun die Schuhe ausziehen müsse oder nicht. »Natürlich müssen wir«, hatte Irene gesagt. »Kein Moslem betritt eine Moschee mit Schuhen, also tun wir es auch nicht.«
»Awer mir senn doch koi Moslemische.«
»Trotzdem sollten wir die hiesigen Sitten respektieren.«
»Awer die Fieß brauche me net zu wäsche, oder? Moine senn sauber.«
Meine waren es nicht. Wenn man stundenlang mit offenen Schuhen herumläuft, nehmen die Füße mit der Zeit einen Farbton an, der sich vom Straßenbelag kaum unterscheidet. Allerdings hatte ich Hemmungen, meine dreckigen Beine in den Reinigungsbrunnen zu stecken, der doch wohl nur rituellen Fußwaschungen dient. »Laß es«, meinte Irene, »bis du in der Moschee bist, sieht man von deiner Waschorgie sowieso nichts mehr.«
Menachem war in seinem Element. Nach Besichtigung der beiden Bauwerke schleppte er uns auf dem Tempelberg von einer antiken Stätte zur nächsten, und es gibt eine Menge davon. Namen flogen uns um die Ohren (wer, um alles in der Welt, waren denn die Fatimiden???), Jahreszahlen, die man sowieso gleich wieder vergißt, Jebusiterkönig Arauna, Kalif Omar Abdel-Malik… alles schwappte an mir vorbei, während ich oben auf der Treppe stand und zum Ölberg hinüberschaute.
»Ich kann nicht mehr!« Irene ließ sich auf die oberste Stufe plumpsen und streckte die Beine weit von sich. »Das alles muß ich zu Hause mal in Ruhe nachlesen, jetzt ist mein Kopf zu. Eben bin ich mir wieder vorgekommen wie im Geschichtsunterricht, dabei habe ich mir schon damals keine Zahlen merken können. Ich erinnere mich bloß noch an die eine: Drei drei drei = bei Issos Keilerei.«
»Die Schlacht
Weitere Kostenlose Bücher