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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raidy
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Mutter lachte glucksend, so als fände sie diese Vorstellung vollkommen absurd.
    Ich sah die Frau vom Jugendamt an. Mein Gesicht fühlte sich ganz heiß an, und ich spürte, wie sich auf meiner Stirn Schweißperlen bilde-ten. Ich hatte nicht den Mut, der Frau die Wahrheit zu sagen. »Nein, es ist ganz und gar nicht so«, sagte ich. »Mom behandelt mich ziemlich gut.«
    »Und sie schlägt dich nie?«, fragte die Frau.
    »Nein... ahm... ich meine, nur wenn sie mich bestraft... wenn ich ein schlechter Junge bin«, sagte ich in dem Versuch, die Wahrheit zu ver-schleiern. Ich konnte an Mutters Gesichtsausdruck erkennen, dass ich das Falsche gesagt hatte. Sie hatte mich jahrelang Gehirnwäschen unterzogen und ich hatte mich verplappert. Ich erkannte auch, dass die Frau mitbekommen hatte, was zwischen Mutter und mir abgelaufen war.
    »In Ordnung«, sagte die Frau. »Ich wollte nur einmal vorbeischauen und nach dem Rechten sehen.« Nachdem sie sich verabschiedet hatte, brachte Mutter ihre Besucherin zur Tür.
    Als die Frau aus der Tür war, stürmte Mutter wutentbrannt auf mich zu. »Du kleiner Scheißkerl!«, schrie sie. Ich hielt mir instinktiv die Hände vors Gesicht, als sie ausholte. Sie schlug mich mehrmals und verbannte mich dann in die Garage. Nachdem sie meinen Brüdern das Abendessen serviert hatte, rief sie mich nach oben, um mich zu meiner abendlichen Fronarbeit zu scheuchen. Als ich das Geschirr spülte, fühlte ich mich gar nicht so schlecht. Tief in meinem Inneren hatte ich gewusst, dass Mutter aus einem anderen Grund nett zu mir war als aus 74

    Liebe zu mir. Ich hätte mich nicht ins Bockshorn jagen lassen sollen, weil sie sich genauso verhalten hatte, wie in den Zeiten, in denen wir über die Feiertage Besuch hatten, wie zum Beispiel, wenn Großmutter da war. Zumindest hatte ich zwei gute Tage genossen. Ich hatte schon lange keine zwei guten Tage mehr gehabt, also war es mir das seltsamerweise wert. Ich fügte mich wieder in meinen alten Tagesablauf und verließ mich auf meine Willenskraft. Zumindest musste ich nicht mehr über dünnes Eis gehen und mich davor fürchten einzubrechen.
    Die Dinge waren wieder beim Alten, und ich war wieder der Sklave der Familie.
    Auch wenn ich mein Schicksal akzeptiert hatte, waren die Tage, an denen Vater zur Arbeit ging, am schlimmsten für mich. Dann stand er um etwa fünf Uhr morgens auf. Er wusste es nicht, aber ich war immer wach. Ich hörte zu, wie er sich im Badezimmer rasierte und in die Küche ging, um sich Frühstück zu machen. Ich wusste, dass er gleich das Haus verlassen würde, wenn er sich die Schuhe anzog. Manchmal drehte ich mich gerade im richtigen Augenblick um, wenn er nach seiner dunkelblauen Pan-Am-Tasche griff. Er küsste mich auf die Stirn und sagte: »Versuche, sie glücklich zu machen und ihr aus dem Weg zu gehen.«
    Ich versuchte, nicht zu weinen, aber mir kamen immer die Tränen.
    Ich wollte nicht, dass er ging. Ich habe es ihm nie gesagt, aber ich bin sicher, dass er es wusste. Nachdem er die Haustür hinter sich geschlossen hatte, zählte ich die Schritte, die er zum Gartentor brauchte. Ich hörte, wie er den Weg, der vom Haus wegführte, entlangging. Im Geiste konnte ich sehen, wie er nach links abbog, um zur Bushaltestelle zu gehen und in den Bus nach San Francisco zu steigen. Manchmal, wenn ich den Mut dazu hatte, sprang ich aus dem Bett und rannte zum Fenster, um einen Blick auf Vater zu erhaschen. Gewöhnlich blieb ich jedoch im Bett und kuschelte mich an der warmen Stelle ein, an der er geschlafen hatte. Ich bildete mir ein, dass ich ihn noch lange, nachdem er gegangen war, hören konnte. Sobald ich der Tatsache, dass er wirklich weg war, ins Auge blickte, wurde es tief in meiner Seele kalt und leer. Ich liebte Vater so sehr. Ich wollte für immer mit ihm zusammen sein, und weinte innerlich, weil ich nie wusste, wann ich ihn wieder sehen würde.
    75

    7.

Das Vaterunser
    Etwa einen Monat bevor ich in die fünfte Klasse kam, gelangte ich zu der Überzeugung, dass es für mich keinen Gott gab.
    Während ich alleine in der Garage saß oder im schummrigen Elternschlafzimmer las, dachte ich, dass ich dazu verdammt sei, für immer so zu leben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein gerechter Gott es zulassen würde, dass ich ein solches Leben fristete. Ich glaubte, dass er mich im Stich gelassen hatte und dass ich meinen Kampf ums Überleben ganz allein führen musste.
    Mittlerweile hatte ich mich gegen körperliche Schmerzen völlig

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