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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raidy
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wollte auch wissen, warum ich so oft bestraft würde. Mutter war nie um Ausflüchte verlegen. Ich litt beispielsweise gerade an einer Erkältung oder arbeitete an einem Schulprojekt. Letzten Endes erzählte sie Shirley, dass ich ein schlechter Junge sei und es verdiente, für lange, lange Zeit in die Garage verbannt zu werden.
    Mit der Zeit litt die Beziehung zwischen Shirley und Mutter. Eines Tages brach Mutter den Kontakt zu ihr ohne ersichtlichen Grund ab.
    Shirleys Sohn durfte nicht mehr mit meinen Brüdern spielen, und Mutter rannte durchs Haus und bezeichnete sie als blöde Ziege. Auch wenn ich nicht mit den anderen spielen durfte, habe ich mich in der Zeit, in der Shirley und Mutter befreundet waren, etwas sicherer gefühlt.
    An einem Sonntag im letzten Sommermonat kam Mutter ins Elternschlafzimmer, wo ich laut Befehl in meiner Kriegsgefangenenstellung auf den Händen saß. Sie bat mich, aufzustehen und mich zu ihr auf die Bettkante zu setzen. Dann sagte sie, dass es mit uns nicht mehr so weitergehen könne. Sie entschuldigte sich und versprach, dass sie wieder gutmachen wolle, was sie mir angetan hatte. Ich strahlte von 72

    einem Ohr zum anderen, als ich die Arme um sie schlang und sie ganz fest hielt. Als sie mir übers Haar strich, fing ich an zu weinen. Auch Mutter weinte, und ich konnte es kaum glauben, dass die schlechten Zeiten für mich vorbei sein sollten. Ich ließ sie los und schaute ihr in die Augen. Ich musste es ganz genau wissen. Ich musste sie es noch einmal sagen hören. »Ist es wirklich vorbei?«, fragte ich schüchtern.
    »Ja, es ist vorbei, mein Schatz. Ich möchte, dass du von diesem Augenblick an vergisst, dass überhaupt etwas von all dem passiert ist.
    Du wirst versuchen, ein guter Junge zu sein, nicht wahr?«
    Ich nickte.
    »Dann werde ich versuchen, eine gute Mutter zu sein.«
    Nachdem Mutter sich mit mir ausgesprochen hatte, ließ sie mich ein warmes Bad nehmen und die neuen Kleider anziehen, die ich zu Weihnachten bekommen hatte. Ich hatte sie vorher nicht tragen dürfen. Dann ging Mom mit meinen Brüdern und mir zum Bowling, während Vater zu Hause auf Kevin aufpasste. Auf dem Nachhauseweg hielt Mom an einem Spielzeugladen an und kaufte für jeden von uns einen Kreisel.
    Als wir nach Hause kamen, sagte Mom, dass ich mit den anderen Jungen draußen spielen dürfte, aber ich ging mit dem Kreisel ins Elternschlafzimmer und spielte allein. Nach Jahren, in denen ich mit Aus-nahme von Feiertagen, an denen wir Gäste gehabt hatten, vom Abendessen ausgeschlossen worden war, durfte ich zum ersten Mal wieder mit meiner Familie zusammen zu Abend essen. Es ging mir alles zu schnell, und ich hatte das Gefühl, dass es zu gut war, um wahr zu sein.
    So glücklich ich auch war, es kam mir so vor, als ob ich über sehr dünnes Eis ginge. Ich erwartete, dass ich aufwachen und feststellen würde, dass alles nur ein Traum gewesen war. Doch das war nicht der Fall. Ich aß alles was ich wollte zum Abendessen, und Mutter ließ mich mit meinen Brüdern fernsehen, ehe wir schlafen gingen. Ich fand es merkwürdig, dass sie wollte, dass ich weiter bei Vater schlief, aber sie sagte, sie wolle in der Nähe des Babys sein.
    Am Nachmittag des nächsten Tages kam eine Frau vom Jugendamt zu uns nach Hause, während Vater arbeiten war. Mom schickte mich mit meinen Brüdern zum Spielen nach draußen, während sie mit der Frau sprach. Sie redeten mehr als eine Stunde lang miteinander. Ehe die Frau ging, rief Mom mich ins Haus. Die Frau wollte für ein paar Minuten mit mir sprechen. Sie wollte wissen, ob ich glücklich sei. Ich sagte, das sei ich. Sie wollte wissen, ob ich mit meiner Mom gut auskam. Ich 73

    bejahte. Schließlich fragte sie mich, ob Mom mich je schlagen würde.
    Ehe ich antwortete, blickte ich zu Mutter auf, die höflich lächelte. Auf einmal fühlte ich mich so, als würde in meinem Magen eine Bombe explodieren. Ich dachte es zerreißt mich. Mir war plötzlich ein Licht aufgegangen. Jetzt war mir klar, warum Mutter sich am Tag zuvor um hundertachtzig Grad gedreht hatte, warum sie von heute auf morgen so nett zu mir gewesen war. Ich fühlte mich wie ein Hornochse, weil ich darauf hereingefallen war. Ich sehnte mich so nach Liebe, dass ich ihr die ganze Farce abgenommen hatte.
    Mutters Hand auf meiner Schulter brachte mich in die Wirklichkeit zurück. »Los, erzähl's ihr, mein Schatz«, sagte Mutter wieder lächelnd,
    »erzähl ihr, dass ich dich hungern lasse und dich wie einen Hund schlage.«

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