Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
letzten Schluck Wasser, loggt sich aus, rutscht vom Stuhl. Die Sirene ist immer noch zu hören, scheint sich aber zu entfernen.
    Jetzt muß sie sich ein Taxi suchen. Ein offizielles.
     
    Sie nickt den Sicherheitstypen in ihren Kevlarjacken zu und erinnert sich, daß sie noch ihren Paß von der Rezeption abholen muß.
    Das Foyer des Hotel Präsident ist immer noch genauso geräumig, aber noch leerer als sonst, und ihre Frage scheint bei dem Angestellten eine ganze Palette zutiefst atavistischer So-wjetaffekte hervorzurufen. Seine Miene wird auf der Stelle ausdruckslos, er starrt sie mit zusammengekniffenen Augen an, dreht sich um, entfernt sich durch eine hinter seinem Tresen befindliche Kassettentür und bleibt, wie sie auf ihrer Armbanduhr sehen kann, gute zehn Minuten verschwunden. Aber dann kommt er mit ihrem Paß zurück und reicht ihn ihr wortlos.
    Sie schaut schnell nach, ob es auch wirklich ihrer ist, denkt an die Geschichten, die Win immer erzählt hat, und prüft, ob noch alle Seiten da sind und man ihr auch keinen neuen Reise-verlauf angedichtet hat. Aber es scheint alles korrekt zu sein.
    Keine sichtbaren Veränderungen. »Danke.« Sie steckt den Paß in ihre Stasimappe.
    Zeit für ein langes, heißes Bad in einer langen braunen Badewanne, und dann wird sie die Rezeption anrufen und fragen, ob ein Mr. Gilbert eingetroffen ist.
    Als sie sich umdreht, steht Dorotea Benedetti vor ihr.
    »Ich muß mit Ihnen reden.« Sie ist in Schwarz, mit mehr als einem Hauch von echtem Gold um den Hals, perfekt gestriegelt wie immer, aber stärker geschminkt.
    »Dorotea?« Natürlich ist sie es, doch der Instinkt sagt: Zeit gewinnen. Ein tieferer Instinkt sagt: Flüchten.
    »Ich weiß, daß Sie sie gefunden haben. Hubertus hat keine Ahnung, aber sie wissen Bescheid.«
    »Wer?«
    »Wolkows Apparat. Die Leute, die mich engagiert haben.
    Wir müssen uns jetzt mal unterhalten, wir beide. Kommen Sie mit in die Lounge.«
    »Ich dachte, Sie arbeiten für Hubertus.«
    »In erster Linie passe ich auf mich selber auf, und auf Sie. Ich erklär’s Ihnen gleich. Wir haben nicht viel Zeit.« Ohne auf Antwort zu warten, dreht sie sich um und marschiert über den braun und ocker gemusterten Paradeplatz auf eine Tür zu, hinter der sich offensichtlich die Bar verbirgt. Doroteas Strumpfhose hat hinten, wo die Naht sein müßte, von der Ferse bis zur Wadenmitte ein Muster aus stilisierten Schlangen.
    Cayce folgt ihr, zutiefst mißtrauisch, und zwischen ihren Schultern schürzt sich wieder der Angstknoten. Aber sie findet, daß sie sich anhören muß, was Dorotea zu sagen hat, ganz gleich, was es ist.
    Die Lounge inszeniert das Thema Oktober in Form von heu—schobergroßen Trockenblumenarrangements und mit Blättern bestreuten Anrichten, auf denen sich bleiche Kunstkürbisse türmen, die bedenkliche Ähnlichkeit mit Totenschädeln haben.
    Viele bräunliche Spiegel, mit Dunkelgold geädert.
    Das Mädchen mit den grünen Stiefeln ist auch da, obwohl sie die Dinger gar nicht anhat; Cayce erkennt sie an den Schlangen-lederflammen, die aufs vorteilhafteste auf dem Barhocker zur Schau gestellt sind. Mindestens ein Dutzend ihrer Kolleginnen scheinen es heute geschafft zu haben, die Sicherheitsleute zu becircen, und kümmern sich um eine durchweg aus massigen, glattrasierten, kurzhaarigen, auffallend quadratschädeligen Männern in dunklen Anzügen bestehende Klientel. Wie ein verschwundenes Amerika, bis hin zu den blauen Schichten von Zigarettenrauch, den völlig unironischen Frank-Sinatra—Klängen und den Gesten der Männer, die aus beidem die Konturen von Triumph und Herrschaft, Niederlage und Frustration herausschälen.
    Dorotea sitzt bereits an einem Zweiertisch, und ein weißbejackter Kellner mit vollem Tablett lädt Getränke ab: ein Glas Weißen für Dorotea, eine Flasche Perrier und ein Wasserglas mit Eis für den Platz vis-á-vis, »Ich hab für Sie mitbestellt«, sagt Dorotea, als Cayce sich hinsetzt. »Sie müssen umziehen, schnellstens, deshalb jetzt vielleicht lieber keinen Alkohol.«
    Der Kellner gießt das Perrier auf die Eiswürfel und entfernt sich.
    »Wie meinen Sie das?«
    Dorotea sieht sie an. »Ich erwarte nicht, daß Sie mich mögen.
    Meine Motive sind selbstverständlich egoistischer Natur, aber im Moment kann ich meine Interessen am besten dadurch verfolgen, daß ich die Ihren unterstütze. Sie glauben mir nicht, aber ich bitte Sie, diese Möglichkeit zumindest in Betracht zu ziehen. Was wissen Sie über Andrej

Weitere Kostenlose Bücher