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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Wolkow?«
    Wolkowa. Stella Wolkowa. Zeit gewinnen. Cayce nippt an ihrem Perrier. Es schmeckt fade.
    »Er ist ihr Onkel«, sagt Dorotea unwirsch. »Ich weiß, wo Sie heute gewesen sind. Ich weiß, daß Sie die beiden getroffen haben. Und Wolkow wird es auch bald wissen.«
    »Den Namen habe ich noch nie gehört.« Trockene Kehle. Sie trinkt noch einen Schluck.
    »Der unsichtbare Oligarch. Der Geist. Höchstwahrscheinlich der reichste von allen. Er hat dreiundneunzig den Bankenkrieg heil überstanden, und danach hat er noch mehr gescheffelt.
    Seine Wurzeln liegen natürlich in der organisierten Kriminalität; hierzulande ist das natürlich. Er hat persönliche Verluste erlitten, wie viele andere auch. Sein Bruder. Das hatte eher mit Sachen zu tun, die Sie politisch nennen würden, als mit Kriminalität, aber hierzulande ist es naiv, da einen Unterschied machen zu wollen.« Dorotea trinkt einen Schluck Wein.
    »Dorotea, was machen Sie hier?« Cayce fragt sich, wie ihr wohl zumute wäre, wenn diese Begegnung nicht gerade heute stattfände, sondern an irgendeinem anderen Tag. Jetzt, wo sie gerade erlebt hat, wie die Clips tatsächlich entstehen, fällt es ihr schwer, Angst oder Wut zu verspüren, obwohl sie sich erinnert, Dorotea gegenüber beides durchaus schon empfunden zu haben. Der Knoten oben im Rücken löst sich allmählich.
    »Sie sind in Gefahr. Durch Wolkows Apparat. Sie sind eine Bedrohung für diese Leute, weil Sie sich mit seinen Nichten getroffen haben. Das ist nicht vorgesehen.«
    »Aber so perfekt scheinen die Sicherheitsmaßnahmen ja nun auch nicht zu sein. Ich hab einfach eine Mail geschickt. Stella hat geantwortet.«
    »Wie sind Sie an die Adresse gekommen?«
    »Durch Boone«, lügt Cayce.
    »Das tut nichts zur Sache«, sagt Dorotea, und Cayce ist froh darüber, obwohl sie Dorotea zu gerne erzählen möchte, daß Boone in Ohio bei Sigil ist.
    »Erzählen Sie mir lieber von Ihrem Vater«, sagt Dorotea.
    »Das ist viel wichtiger. Wie hieß er?«
    »Win«, sagt Cayce. »Wingrove Pollard.«
    »Und er ist verschwunden an dem Tag, als das mit den Türmen war, in New York?«
    »Am Abend davor hat er sich ein Hotelzimmer genommen, und am Morgen ist er in ein Taxi gestiegen. Aber wir haben den Fahrer nie gefunden, und ihn können wir auch nicht finden.«
    »Vielleicht kann ich Ihnen helfen, ihn zu finden«, sagt Dorotea. »Trinken Sie Ihr Wasser aus.«
    Cayce trinkt den Rest Perrier, die Eiswürfel schlagen hart und schmerzhaft an ihre Vorderzähne. »Jetzt hab ich mir an den Zähnen weh getan«, sagt sie und stellt das Glas hin.
    »Sie sollten vorsichtiger sein«, erwidert Dorotea.
    Cayce schaut sich in der Bar um und sieht die Schlangen—hauteinsätze am Rock des Mädchens kriechen, feucht und glitzernd. Durch die flammenförmig ausgeschnittenen Stellen in dem straffen Gewebe schimmert die darunterliegende leben—dige, grünlich-schwarze Schlangenhaut. Cayce will es Dorotea erzählen, aber irgendwie könnte das peinlich sein. Sie kommt sich linkisch vor und sehr, sehr schüchtern.
    Dorotea gießt das restliche Perrier in Cayces Glas. »Ist Ihnen schon mal die Idee gekommen«, sagt sie, »daß ich Mama Anarchia sein könnte?«
    »Ausgeschlossen«, sagt Cayce, »Sie sagen ja gar nicht, daß irgendwas hegemonisch ist.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Cayce spürt, wie sie rot wird. »Sie sind redegewandt, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie das alles erfunden haben. Die ganzen Sachen, die Parkaboy haßt.« Aber das hätte sie vielleicht nicht sagen dürfen. »Oder doch?«
    »Nein. Trinken Sie Ihr Wasser.« Cayce gehorcht und paßt auf die Eiswürfel auf. »Aber ich habe einen kleinen Puppenkopf, der mir hilft. Ich sage, was ich sagen muß, und der Puppenkopf übersetzt es in die Sprache der Anarchia, um damit Ihren höchst verdrießlichen Freund zu verdrießen.« Dorotea lächelt.
    »Puppen –?«
    »Pup-pen-kopf. Einen Studenten, drüben in Amerika. So kann ich die Mama sein. Und ich glaube, du bist jetzt auch mein kleiner Puppenkopf.« Sie langt über den Tisch und streichelt Cayce die Wange. »Und außerdem glaube ich, daß du uns keinen Ärger mehr machen wirst, überhaupt keinen. Du bist jetzt ein ganz braves Mädchen und wirst mir schön erzählen, woher du die E-Mail-Adresse hattest, nicht wahr?«
    Aber auf der Anrichte sind Totenköpfe, und als sie die Augen aufmacht und Dorotea gerade von ihnen erzählen will, sieht sie Bibendum höchstpersönlich in seiner ganzen Schmierigkeit und Ekelhaftigkeit

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