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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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hinter der Theke stehen, mit seinen bleichen, gummiartigen Fleischrollen, die an die Falten eines halb aufge-blasenen Luftschiffs erinnern. Cayce bleibt der Mund offenstehen, sie kriegt keinen Ton raus, und die grauenhaften Augen des Michelinmännchens fixieren sie mit einem wahrhaft fürch—terlichen Blick – und sie erlebt vielleicht den ersten und einzigen EVP-Kontakt ihres Lebens, als aus einem tiefen, verborgenen Strudel im Fluß von Sinatras Stimme ein merkwürdig heller, schnarrender Zeichentrickfilmton kommt, der das akustische Äquivalent eines Rückwärtssaltos vollführt und sich in die zum Zwecke der Übertragung über unvorstellbare Di-stanzen hinweg komprimierte Stimme ihres Vaters verwandelt.
    »Sie hat dir was ins Wasser getan. Schrei.«
    Was sie tut.
    So daß, als alles um sie herum dunkel wird, ihre Finger grade etwas Glattes, Kaltes umkrallen, das ganz unten in ihrer Stasimappe liegt.
     
    39 ROTER

STAUB
    Es muß, auch wenn sie es bis jetzt noch nie bemerkt hat, einen raffiniert gestalteten stählernen Ring geben, der haargenau den Unregelmäßigkeiten der Innenseite ihres Schädels folgt.
    Offenbar besteht er aus einem Rundstahl, der nicht dicker ist als der Draht bei einem Kleiderbügel, aber wesentlich stärker und enorm starr. Sie weiß das, weil sie ihn fühlen kann, jetzt, wo jemand einen zentralen Schlüssel, gleichfalls aus Metall, herumdreht, einen Schlüssel, der die Form eines T hat und in dessen Oberfläche, aber nur auf einer Seite, sehr fein der Plan einer Stadt eingraviert ist, deren Namen sie früher einmal kannte, der ihr aber momentan, in ihrem durch die Ausdehnung jenes stählernen Ringes verursachten Elend, entfallen ist.
    Mit jeder Umdrehung des Schlüssels weitet sich der Ring, und das bereitet ihr wahre Folterqualen.
    Sie macht die Augen auf und merkt, daß sie nicht funktionieren, jedenfalls nicht so, wie sie es erwartet.
    Ich brauche eine Brille, denkt sie und schließt die Augen wieder. Oder Kontaktlinsen. Oder so eine Laseroperation. Da ist die Sowjetmedizin drauf gekommen, wie sie weiß, und zwar per Zufall, der erste Patient hatte bei einem Autounfall Schnittwun-den in der Netzhaut erlitten, in Rußland – Macht sie wieder auf.
    Sie ist in Rußland.
    Sie versucht die Hände zu heben und sich an den schmerzenden Kopf zu fassen, muß aber feststellen, daß es nicht geht.
    Räumliche Bestandsaufnahme. Sie liegt auf dem Rücken, vermutlich auf einem Bett, und kann die Arme nicht bewegen.
    Sie hebt vorsichtig den Kopf, wie beim Pilates, wenn sie sich auf die Hundert vorbereitet, und sieht, daß ihre Arme immerhin noch da sind, oder dazusein scheinen, unter der dünnen grauen Decke und der übergeschlagenen Kante eines weißen Lakens, daß da aber zwei Fixiergurte aus einem grauen Gewebe sind, einer direkt unter den Schultern und der andere direkt unter den Ellbogen.
    Irgendwie ist das nicht gut.
    Sie läßt den Kopf wieder sinken und stöhnt, weil das gut und gerne zwei Umdrehungen des Schlüssels bewirkt, und zwar schnelle.
    Die Decke, auf die sie, wie sie jetzt feststellt, den Blick richten kann, ist leer und weiß. Als sie den Kopf vorsichtig nach rechts dreht, sieht sie eine ebenso leere Wand, ebenfalls weiß. Lin-kerhand die Deckenbeleuchtung, die rechteckig und schmucklos ist, und dann eine Reihe Betten, mindestens drei, die leer sind und aus weißlackiertem Metall.
    All das ist eine Menge Arbeit und macht sie sehr, sehr müde.
     
    Eine grauhaarige Frau mit einer grauen Strickjacke über einem formlosen grauen Kleid bringt ein Tablett.
    Das Bett ist aufgerichtet worden, so daß sich Cayce jetzt in halbsitzender Position befindet, und die Haltegurte sind weg.
    Ebenso, wie sie merkt, der sich ausweitende Ring in ihrem Schädel.
    »Wo bin ich?«
    Die Frau sagt etwas, nicht mehr als vier Silben, und stellt das Tablett auf Drahtstützen quer über Cayces Bauch. Auf dem Tablett ein Plastiknapf mit etwas, das aussieht wie dicke weiße Muschelsuppe, abzüglich der Muscheln vielleicht, und ein Plastikbecher mit einer schmutzigweißen Flüssigkeit.
    Die Frau reicht Cayce einen merkwürdig stumpf aussehenden Löffel, der, wie sich zeigt, aus gummiartigem, biegsamem Plastik besteht, starr genug, um damit Suppe zu essen, aber so weich, daß sich die beiden Enden treffen, wenn man ihn zu-sammenbiegt. Cayce benutzt ihn, um die Suppe zu essen, die warm und dick und sehr gut ist und viel kräftiger gewürzt als alles, was sie je im Krankenhaus zu essen gekriegt hat.
    Das graue

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