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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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eine senkrechte, nicht ganz in der Mitte verlaufende Bruchlinie in zwei Teile geteilt ist.
    Keine Narben, nur diese Verschiebung der Knochen darunter.
    Noras Haut ist genauso glatt wie Stellas und genauso weiß.
    Cayce schaut in die dunklen Augen. Nora sieht sie. Dann nicht mehr. Wendet sich wieder dem Bildschirm zu.
    Stella rollt einen Bürostuhl heran. »Setzen Sie sich. Schauen Sie zu, wie sie arbeitet.« Cayce schüttelt den Kopf, in ihren Augen brennen Tränen.
    »Setzen Sie sich«, sagt Stella sehr sanft. »Sie stören sie nicht.
    Sie haben sich so weites Weg gemacht. Sie müssen sie arbeiten sehen.«
     
    Als sie Noras Raum verläßt, sagt ihr ein Blick auf ihre Armbanduhr, daß drei Stunden vergangen sind.
    Sie bezweifelt, daß sie jemals in der Lage sein wird, das, was sie dort drinnen erlebt hat, irgendwem zu beschreiben, vielleicht nicht einmal Parkaboy. Daß sie zugeguckt hat, wie quasi aus dem Nichts ein Segment oder das Gerippe eines Segments aufgebaut wurde. Aus bloßen Schnipseln von gefundenen Videoaufnahmen. Da wurde irgendwann einmal eingefangen, wie ein Mann auf einem Bahnsteig steht und sich herumdreht und die Hand hebt, und irgendwie, wenn auch erst viel später, findet das grobkörnige Bild seinen Weg auf einen von Noras Hilfsbildschirmen. Um jetzt von dem pfeilschnell umherschweifenden Cursor ausgewählt zu werden. Elemente der Geste dieses Mannes verwandeln sich in Aspekte des Jungen in dem dunklen Mantel mit dem hochgestellten Kragen. Der Junge, dessen Leben anscheinend auf die T-förmige Stadt begrenzt ist, die Stadt, die Nora durch das von ihr erzeugte Filmmaterial entstehen läßt. Ihr Bewußtsein, versteht Cayce, ist irgendwie durch oder an den T-förmigen Splitter in ihrem Kopf gebunden, jenen Teil vom Scharfmachmechanismus der Claymore-Mine, die ihre Eltern umgebracht hat, dieses Ding, das zu tief und zu kompliziert in ihrem Schädel sitzt, als daß man es entfernen könnte. Ein Ding, das vor langer Zeit zusammen mit Tausenden seiner Art in irgendeiner amerikanischen Rüstungsfabrik von einem Automaten gestanzt wurde. Sollten die Arbeiter, die diese Teile produzierten, überhaupt einen Gedanken an deren Endzweck verschwendet haben, dann haben sie sich vielleicht vorgestellt, daß damit Russen getötet werden sollten. Aber die Zeiten sind vorbei. Der Krieg von Win und Baranov, das ist ein alter Hut, genausoalt wie die Backsteinbauten hinter Baranovs Caravan mit ihren Zaunpfählen aus Beton und dem Widerhall nichtvorhandener Hunde. Und irgendwie war dieses eine spezielle Stück Feldzeug, das vielleicht im gescheiterten Krieg der Sowjets gegen die neuen Feinde abhanden gekommen war, den Feinden von Noras Onkel in die Hände gefallen, und dieses eine kleine Teil war, durch die Explosion der brutal einfachen Vorrichtung nur leicht beschädigt, mitten in Noras Hirn ge-schleudert worden. Und daraus und aus ihren anderen Verlet-zungen entstanden dann nur durch das geduldige, monotone Klicken der Maus die Clips.
    In dem verdunkelten Raum, durch dessen Fenster man, hätte man die Farbe abgekratzt, den Kreml hätte sehen können, war Cayce zu Bewußtsein gekommen, daß sie sich an der glorrei—chen Quelle befand, an der Quelle des digitalen Nil, nach der sie und ihre Freunde gesucht hatten. Hier ist der Ursprung, in den matten und doch präzisen Bewegungen einer bleichen Frauen-hand. Im schwachen Klicken auf zufällig eingefangene Bilder.
    In diesen Augen, die nur dann wirklich anwesend sind, wenn sie auf diesen Bildschirm schauen.
    Nur die Verletzung spricht wortlos im Dunkel.
     
    Stella findet sie im Flur, wie sie mit tränennassem Gesicht und geschlossenen Augen an der Gipswand lehnt, die genauso uneben ist wie Noras Stirnknochen.
    Sie legt Cayce die Hände auf die Schultern. »Jetzt Sie haben gesehen, wie sie arbeitet.«
    Cayce macht die Augen auf, nickt.
    »Kommen Sie«, sagt Stella, »Ihre Augen sind geschmelzt«, und führt sie an den Computerarbeitsplätzen vorbei in die dämmerige Küche. Sie hält einen dicken Packen grauer Papier—handtücher unter den Messingwasserhahn und reicht ihn Cayce, die sich die Kompresse an die heißen Augen hält. Das Papier ist rauh, das Wasser kalt. »Gibt nicht mehr viele Häuser wie dieses jetzt«, sagt Stella. »Boden ist viel zu wertvoll. Auch dieses Haus, was ist geliebte Ort von unsere Kindheit, gehört unsere Onkel. Er hält Bauunternehmer fern, für uns, weil Nora sich fühlt wohl hier. Ist egal, was kostet, Geld spielt keine Rolle für ihn.

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