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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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platt-getretenen Zigarettenkippen, Kronkorken und Fetzen von Alufolie gesprenkelt.
    Sie geht weiter, bis sie sich in einer Art Grotte aus staubigem Buschwerk wiederfindet, einem natürlichen Versteck, das sich offenbar großer Beliebtheit erfreut. Flaschen und Dosen, zerknülltes Papier, an einem Zweig hängt ein vertrocknetes Kondom wie ein Teil aus dem Lebenszyklus irgendeines großen Insekts. Also unter anderem auch eine Liebeslaube.
    Sie hockt sich hin, atmet durch, lauscht auf irgendwelche Anzeichen von Verfolgung.
    Sie hört nur ein normales Flugzeuggeräusch irgendwo über sich.
    Der Pfad führt wieder aus der Grotte heraus und verliert sich in Geröll – lauter rundgeschliffene Steinbrocken – ein ausge-trocknetes Flußbett. Sie geht weiter, durch dichtere, grünere Vegetation, bis der Pfad wieder zum Vorschein kommt und die andere Seite der Schlucht hinaufführt.
    Als sie oben ankommt, sieht sie den Zaun.
    Neuer als das Gebäude, weißer, unverwitterter Beton am Fu-
    ße jedes einzelnen verzinkten Pfahls. Gewöhnlicher Maschendraht, oben Draht, allerdings, wie sie im Näherkommen sieht, kein NATO-Draht, sondern bloß einfacher Stacheldraht und auch nur zwei Reihen.
    Sie schaut zurück und sieht gerade noch die Spitzen der Betonkonstruktion oben auf dem roten Klinkerbau.
    Sie streckt den Zeigefinger aus. Holt Luft. Tippt so leicht und kurz sie kann an den Maschendraht. Kein Stromschlag, obwohl an den Wänden von Baracken voll gelangweilt wartender, schwerbewaffneter Männer vielleicht grade eben die Alarmsirenen losgegangen sind.
    Sie schaut auf den Maschendraht und dann auf die Spitzen ihrer Parcostiefel. Sieht nicht gut aus. Von ihren Sommern in Tennessee weiß sie, daß man an Maschendraht im Grunde nur mit Cowboystiefeln hochklettern kann. Man steckt die Spitzen einfach rein und marschiert hoch. Die Parcostiefel sind vorne nicht spitz genug, die Sohlen haben kaum Profil.
    Sie setzt sich in den Staub, schnürt die Stiefel auf, zurrt die Senkel fester, knotet sie wieder zu, zieht die Rickson aus und bindet sich die Ärmel so fest sie kann um die Taille.
    Steht auf, guckt hoch.
    Sonne im Zenit. Sie hört eine Klingel. Mittagspause?
    Sie hakt die Finger in den Maschendraht und fängt an zu klettern, lehnt sich zurück und benutzt ihr Körpergewicht, um die Stiefelsohlen schön flach an den Zaun zu drücken. Das ist die harte Tour, aber in diesen Schuhen die einzige Möglichkeit.
    Es tut weh, aber dann umklammern die Finger beider Hände die drei Zentimeter dicke Querstange oben am Zaun, dicht unter dem unteren Stacheldraht.
    Vorsichtig läßt sie mit der linken Hand los, greift nach unten, bindet die Jackenärmel auf, schleudert die Rickson hoch und über den oberen Stacheldraht.
    Als sie mit einem Bein drüberzukommen versucht, fällt die Jacke beinah runter, aber dann hat sie’s geschafft, sitzt rittlings auf der Rickson und merkt schon, wie sich einer von den Sta-cheln durch die Schichten von liebevoll verarbeitetem Otaku-Nylon und Milspec-Futter bohrt.
    Das andere Bein auch auf die Außenseite zu kriegen ist noch schwieriger. Sie macht eine Übung daraus. Schön fließend die Bewegungen, bitte. Anmut. Kein Grund zur Eile. (Doch Grund zur Eile, sie hat nämlich keine Kraft mehr in den Handgelen—ken.) Dann muß sie die Rickson losmachen. Sie könnte sie natürlich auch zurücklassen, aber das wird sie nicht tun. Sie sagt sich, daß sie es deshalb nicht tun wird, weil sie dann sehen würden, wo sie rüber ist, aber in Wirklichkeit ist es einfach so, daß sie das niemals tun würde.
    Sie hört den Stoff reißen, ihre Füße rutschen über den Maschendraht, und dann landet sie auf dem Hintern im Staub, die Rickson in der rechten Hand.
    Steif steht sie auf, wirft einen Blick auf den lädierten Rücken der Jacke und zieht sie an.
     
    Als die Sonne ihr sagt, daß sie vom Zaun aus etwa drei Stunden gelaufen ist, bleibt sie stehen.
    Die Vegetation wird immer karger, nur immer mehr von dieser trockenen, rötlichen Erde, weit und breit keine Straße in Sicht und kein Wasser. Ihr Proviant besteht aus einem sehr hübschen handgedrehten Zahnstocher aus dem Hotel in Tokio und einem in Zellophan verpackten Pfefferminzbonbon, vermutlich aus London.
    Sie fragt sich allmählich, ob sie nicht vielleicht in Sibirien ist, und bedauert, daß sie nicht mehr über Sibirien weiß, weil sie dann qualifiziertere Vermutungen anstellen könnte. Das Problem ist nur, daß es hier eher so aussieht, wie sie sich den au-stralischen

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