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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Busch vorstellt, bloß nicht so fruchtbar. Bis jetzt hat sie noch keinen einzigen Vogel, ja nicht mal einen Käfer gesehen, überhaupt nichts, außer vor etwa einer Stunde an einer Wegbiegung eine schwach erkennbare Reifenspur, der sie wahrscheinlich hätte folgen sollen, denkt sie jetzt.
    Sie setzt sich in den Sand, lutscht an ihrem Zahnstocher und versucht, nicht an ihre Füße zu denken, die höllisch weh tun.
    Sie hat Blasen, doch auch daran versucht sie nicht zu denken, und vor allem möchte sie sich die Bescherung auf keinen Fall anschauen. Sie beschließt, das Innenfutter ihrer Rickson zu zerreißen und sich damit die Füße zu bandagieren.
    Sie registriert das Geräusch eines Flugzeugs, wie etwas, das Teil der Landschaft ist, und fragt sich, wofür sie diesen Ton wohl halten würde, wenn sie nicht wüßte, was es damit auf sich hat. Gibt es überhaupt noch Menschen auf der Welt, die dieses Geräusch nicht einordnen können? Sie hat keine Ahnung.
    Vor Schmerz zusammenzuckend steht sie auf und geht weiter und lutscht dabei an dem Zahnstocher. Damit ihr der Mund nicht so trocken wird.
     
    Der Sonnenuntergang dauert hier sehr lange. Phantastische Nuancen von Rot.
    Als ihr klar wird, daß sie bei Dunkelheit nicht weiterlaufen kann, gibt sie es auf und setzt sich hin.
    »Schöne Scheiße«, sagt sie, ein Ausdruck von Damien, der ihr die Dinge gut zu erfassen scheint.
    Sie holt ihr Pfefferminzbonbon hervor, wickelt es aus und steckt es in den Mund.
    Ihr wird langsam kühl. Sie knotet die Ärmel der Rickson auf, zieht die Jacke an und zippt sie zu. Sie spürt, wie ihr die Kälte den Rücken hochkriecht, weil der Stoff hinten zerfetzt ist, nachdem sie Streifen des Zwischenfutters herausgerissen hat, um sich die Füße zu verbinden. Das hatte ein wenig geholfen, aber sie glaubt trotzdem nicht, daß sie noch lange weitermar-schieren kann, auch nicht, wenn die Sonne wieder da ist.
    Sie gibt sich Mühe, nicht an dem Pfefferminz zu lutschen, weil es sonst schneller alle ist. Wahrscheinlich wäre es besser, den Rest aus dem Mund zu nehmen und ihn sich für später aufzuheben, aber sie weiß nicht, wohin damit. Sie macht die kleine Tasche am Jackenärmel auf, entdeckt darin die Karte von dem indischen Restaurant, auf die Baranov Stellas Adresse geschrieben hat. Sie schaut die präzisen kleinen Kursivbuchsta-ben, die die Farbe von getrocknetem Blut haben, so lange an, bis es zu dunkel zum Lesen ist.
    Sie holt das klebrige Pfefferminzbonbon raus und lutscht noch mal.
    Die Sterne kommen.
    Nach einer Weile, als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, stellt sie fest, daß sie in der Ferne zwei Türme aus Licht sieht, genau in der Richtung, in die sie, wie sie glaubt, die ganze Zeit gegangen ist. Sie sind nicht wie die Gedenkinstallation am Ground Zero, sondern wie die Türme in dem Traum, den sie in London hatte, nur nicht so stark, irgendwie weiter weg.
    »Du bist doch nicht etwa in Sibirien«, sagt sie zu ihnen.
    Und im selben Moment weiß sie, daß er da ist.
    »Ich glaube, ich könnte hier sterben«, sagt sie. »Ich meine, ich glaube, das könnte passieren.«
    Könnte, sagt er.
    »Wird es passieren?«
    Weiß ich nicht.
    »Aber bist du nicht tot?«
    Schwer zu sagen.
    »Warst du das, gestern abend, in der Musik?«
    Halluzination.
    »Ich dachte schon, das war endlich mal Moms EVP.«
    Kein Kommentar.
    Sie lächelt. »Und in dem Traum, in London?«
    Kein Kommentar.
    »Ich liebe dich.«
    Weiß ich doch. Ich muß gehen.
    »Warum?«
    Horch.
    Und dann ist er weg, und irgendwie weiß sie, daß es diesmal für immer ist.
    Und dann hört sie irgendwo hinter sich das Geräusch eines Hubschraubers, und als sie sich umdreht, sieht sie den langen weißen Lichtstrahl über den toten Boden schwenken, sieht ihn näher kommen wie ein vor Einsamkeit verrückt gewordener Leuchtturm, sieht ihn die Wüstenei absuchen, so töricht, so aufs Geratewohl wie nur je ein kummervolles Herz.
    49 DIE

TRAUMAKADEMIE
    Der Hubschrauber fliegt unmittelbar über sie hinweg, aber der Suchscheinwerfer greift viel zu weit nach der Seite, weg von ihr.
    Aber doch nahe genug, das Ding, daß sie das schräge gelbe, von einem roten Positionslicht beleuchtete Fahrwerk sehen kann.
    Dann geht der Suchscheinwerfer aus, das rote Licht entschwindet.
    Die Türme sind verschwunden.
    Sie hört den Hubschrauber zurückkommen.
    Er steht in der Luft, etwa fünfzig Meter von ihr entfernt, und der Strahl schießt wieder herab und frißt sich durch den Staub, der vom

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