Mustererkennung
das entweder ein bewußt geplanter, aber extrem abwegiger Move war, um den Konkurrenten oder Gegner zu überrumpeln, oder aber, in Donnys Fall wahrscheinlicher, einfach nur etwas Verrücktes, das zum selben Ergebnis führte. Er hat nie genau gesagt, welchen Jack-Move er in der jeweiligen Situation in Erwägung zog, was vielleicht daran lag, daß er’s nicht wußte. Vielleicht mußte so was ja aus dem Steg-reif kommen, ganz aus dem Augenblick heraus. Zen à la East Lansing. Was es auch sein mochte, sie hatte immer den starken Verdacht gehabt, daß sie so etwas niemals könnte. Jetzt, im Rückblick, assoziiert sie den Ausdruck mit Donnys erstem und einzigem Versuch, sexuelle Wünsche verbal zu kommunizieren.
»Meinst du, du könntest mehr, na ja, Jane-Faces machen?«
Jane-Faces war, wie sie später herausfand, der Stripperinnen-Ausdruck für eine, um es mal so zu beschreiben, ritualisierte Form des Mienenspiels, die eine gewisse ekstatische Verzük-kung oder zumindest eine potentielle solche suggerieren sollte.
Oder hatte ein Jack-Move, fragt sie sich jetzt, einfach mit Geld zu tun? »Jack« in der Bedeutung von »Kohle«? Donnys Jack-Moves kamen meistens in Situationen verschärfter finanzieller Unsicherheit aufs Tapet. Wobei Donny sich permanent in einer Situation finanzieller Unsicherheit befand, allerdings mit Abstufungen. Meistens löste er das Problem, indem er Cayce anpumpte, jedoch erst nachdem er einen Jack-Move erwogen hatte. Wenn das Wort eine Geldbewegung zum eigenen Vorteil bedeutet, denkt sie, kann sie es wohl nicht benutzen, denn was sie jetzt am liebsten tun möchte, würde sie nur Geld kosten.
Was sie am liebsten täte, ist verrückt, das ist ihr klar. Sie atmet aus, beobachtet, wie sich ihre gestreckten Beine in den Schlaufen heben, bis sie einen rechten Winkel mit ihrem Körper bilden, atmet dann ein, während sie die Beine beugt, die Spannung der Schlaufenriemen hält, gegen den Federzug der Liegefläche. Atmet wieder aus und wieder ein, während sie die Beine waagerecht streckt und die Federn bis zum äußersten spannt.
Wiederholt das Ganze noch sechsmal, um insgesamt auf zehn
Durchgänge zu kommen.
Eigentlich dürfte sie an nichts anderes denken als an die richtige Durchführung der Übung, und das ist einer der Gründe, weshalb sie sie macht. Es hilft ihr dabei, nicht zu denken, sie muß sich nur richtig konzentrieren. Sie ist zunehmend der Überzeugung, daß man mit Grübeln keine Probleme lösen kann, aber sie hat noch keine brauchbare Alternative gefunden.
Man kann ja wohl die Probleme auch nicht einfach sich selbst überlassen. Und heute morgen hat sie ein dickes Problem oder sogar mehrere, weil sie gleich zu dem Meeting mit Stonestreet und Dorotea muß, um Heinzis jüngsten Logo-Entwurf zu begutachten. Ihnen zu sagen, ob er funktioniert oder nicht.
Vertragsgemäß.
Der kleine heiße Wutknoten tief in ihr drin sagt, sie wird
dort reingehen, in ihrer Buzz Rickson mit dem (sich an den
Rändern bereits ablösenden) Klebeband auf der Schulter, damit Dorotea Bescheid weiß, daß sie den Schaden nicht etwa überse-hen hat. Aber sagen wird sie nichts. Und dann, wenn Dorotea den überarbeiteten Logo-Entwurf herauszieht (der funktionieren wird, das ist so gut wie sicher, weil Heinzi nun mal sehr gut ist), wird sie ein, zwei Sekunden abwarten und dann den Kopf schütteln. Und Dorotea wird wissen, daß Cayce lügt, aber nichts dagegen tun können.
Und dann wird Cayce in Damiens Wohnung zurückgehen,
ihre Sachen packen, nach Heathrow fahren und mit ihrem
Rückflugticket den nächsten Business-Class-Flug nach New
York nehmen.
Und vermutlich den Kontrakt in den Sand setzen, einen dik—
ken Kontrakt, und dann in New York ganz schön wirbeln
müssen, um neue Arbeit zu finden, aber sie wird Bigend los sein und Dorotea und auch Stonestreet und diesen ganzen bizarren Ballast, der anscheinend an ihnen dranhängt. Die Spiegelwelt wird wieder in ihrem Karton verschwinden, bis zum nächsten Mal, bei einem Urlaub hoffentlich, wenn Damien da ist, und dann wird sie sich nie wieder mit Dorotea oder irgendwelchen Asien-Girls oder sonst irgendwas herumplagen müssen, nie wieder.
Was allerdings hieße, sie hätte eine Klientenfirma belogen,
und das will sie nicht, zumal sie ja selber weiß, daß das ein alberner, infantiler Plan ist. Der Kontrakt ginge ihr durch die Lappen, vermutlich würde sie ihrer Karriere schweren Schaden zufügen, und das alles nur, um Dorotea eins auszuwischen. Und was sollte
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