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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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das bringen?
    Das hat doch keinen Sinn, außer für den Knoten.
    Jetzt sitzt sie im Schneidersitz, macht die »Sphinx«, bei entla-steten Federn. Kehrt die Handflächen nach oben zum »Flehen«.
    Nicht denken. Daran zu denken, nichts zu denken, führt zu
    nichts, das einzige, was hilft, ist, sich bei jeder Wiederholung voll zu konzentrieren.
    Leise schnarren die Federn.
     
    Sie hat den Fahrer, der sie zu Blue Ant bringen soll, schon etwas früher bestellt.
    Sie will noch ein bißchen Zeit für sich haben, draußen auf
    der Straße, ihren eigenen Pappbecher mit Kaffee. Soho am
    Montagmorgen hat eine ganz eigene Energie, und die will sie
    noch ein paar Minuten anzapfen. Jetzt kauft sie sich ihren
    Kaffee und geht los, in die entgegengesetzte Richtung, weg von Blue Ant. Versucht, ihren Schritt dem der Menschen hier anzupassen, die auf dem Weg zur Arbeit sind und zu denen sie eine flüchtige Affinität verspürt. Sie verdienen ihr Brot damit, Grade und Entwicklungsrichtungen von Attraktivität zu identifizieren, und sie beneidet sie um die jugendliche Entschlossenheit, mit der sie das angehen. Ist sie jemals so gewesen? So nicht, denkt sie. Nach dem College hat sie zunächst mit dem Design-Team eines Mountain-Bike-Herstellers aus Seattle zusammen-gearbeitet, ihre Tätigkeit dann auf Skatewear und schließlich auf Schuhe ausgedehnt. Ihre Gaben, in der Tat die Kehrseite dessen, was Bigend ihre Allergien nennt, haben sie immer weiter vo-rangebracht, und sie hat es dahin kommen lassen, sich nach und nach in dem, was sie ist und was sie tut, nur noch darüber zu definieren. Sie hat das immer als eine Art Mit-dem-Strom-Schwimmen gesehen, aber jetzt fragt sie sich, ob es nicht vielleicht einfach der Weg des geringsten Widerstands war. Und wenn es nun so wäre, daß der Strom von Natur aus den Weg des geringsten Widerstands wählt? Wo führt das hin?
    »In den Orkus«, sagt sie laut, und ein bemerkenswert gut
    aussehender junger Asiate, der neben ihr hergeht, guckt sie
    erschrocken an. Sie lächelt beruhigend, aber er runzelt die Stirn und geht schneller. Sie drosselt ihren Schritt, um ihn vorzulas-sen. Er trägt einen schwarzen Pferdeleder-Halbmantel, an den Kanten grau geschubbert wie ein altes Gepäckstück, und jetzt sieht sie, daß er tatsächlich ein solches bei sich hat. Ein kleines Köfferchen aus rotbraun gewachstem Rindsleder, das sie an die Schuhe der alten Männer in dem Heim erinnert, in dem ihr Großvater, Wins Vater, gestorben ist. Sie sieht ihm nach, und plötzlich überspült sie eine Welle von Sehnsucht, von Einsamkeit. Nichts spezifisch Sexuelles, es hat eher mit dem Wesen von Großstädten zu tun, mit den unzähligen Fremden, denen man jeden Tag begegnet und die man wahrscheinlich nie wiedersehen wird. Das ist ein Gefühl, das sie seit vielen Jahren kennt, und daß es jetzt kommt, liegt vermutlich daran, daß sie an der Schwelle zu irgend etwas steht, an einer Art Wendepunkt, und daß sie sich so verloren fühlt.
    Selbst ihr Verhältnis zu den Clips ändert sich. Margot hat die Clips als Cayces Hobby bezeichnet, aber Cayce hat noch nie zu den Menschen gehört, die Hobbys haben. Obsessionen, ja.
    Welten, Rückzugsorte.
    »Aber sie sind no-name«, hat Margot über die Clips gesagt,
    »deshalb gefallen sie dir. Stimmt’s? Wie mit deinem Marken—
    Ding.« Margot hatte herausgefunden, daß die meisten Dinge in Cayces Küche No-name-Artikel waren, und Cayce hatte ihr gestanden, daß das nichts mit Sparsamkeit zu tun hatte, sondern mit ihrer Überempfindlichkeit gegen Marken.
    Jetzt schaut sie, ob der Asiate noch da ist, sieht ihn aber nicht mehr. Sie wirft einen Blick auf ihren Casio-Klon.
    Zeit für Blue Ant. Zeit für Dorotea.
    Die Empfangskraft schickt sie wieder in den dritten Stock
    hinauf, wo sie Stonestreet vorfindet, in einem seiner edel—
    schlafzerknitterten Anzüge, diesmal einem grauen. Sein Haar
    steht in diverse neue Richtungen ab. Er raucht eine Zigarette und blättert in einem pinkfarbenen Blue-Ant-Ordner.
    »Morgen, meine Liebe. War nett am Samstag. Wie war die
    Heimfahrt mit Hubertus?«
    »Wir waren noch was trinken. In Clerkenwell.«
    »Das ist die Originalversion der Gegend, wo wir jetzt wohnen. Gibt dort tolle Räumlichkeiten. Was hatte er denn zu sagen?«
    »Nichts, was mit Arbeit zu tun hat. Wir haben über die Clips geredet.« Sie beobachtet ihn genau.
    »Welche Clips?« Er blickt auf, als hätte er Angst, etwas ver-paßt zu haben.
    »Im Netz. Dieser anonyme Film, der in kleinen

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