Mustererkennung
schiebt sich die Nudeln in den Mund und kaut.
»Nein.«
Er schluckt, legt die Stäbchen hin. »Riesiger Raum, jede Menge Computerarbeitsplätze, Leute, die das Bildmaterial Frame für Frame bearbeiten. Irrsinnig aufwendig. Wie die berühmten Affen mit den Shakespeare-Sonetten, nur daß sie in diesem Fall nach Plan arbeiten. Rendering ist teuer, personalin-tensiv, da sind eine Menge Leute involviert, und so was ließe sich wohl nicht lange geheimhalten. Irgendwer würde was ausplaudern, außer, es herrschten ungewöhnliche Sicherheits—bedingungen. Diese Leute sitzen da und nehmen sich Pixel für Pixel vor. Erhöhen die Bildschärfe. Fügen Details hinzu. Haare.
Haare können ein Albtraum sein. Und sie kriegen ja kaum was dafür.«
»Dann ist also die Keller-Kubrick-Hypothese nur ein
Traum?«
»Es sei denn, der Filmemacher hätte Zugang zu technologi—schen Mitteln, die es unseres Wissens noch gar nicht gibt.
Wenn das Material ausschließlich computergeneriert wäre, müsste der Filmemacher entweder über eine außerirdische Form von CGI oder aber über eine hundertprozentig sichere Rendering-Farm verfügen. Außerirdische Technologie mal ausgeklammert – wer könnte so was haben?«
»Hollywood.«
»Ja, aber möglicherweise in einem globalisierteren Sinne.
Wenn jemand in Hollywood mit CGI arbeitet, wird das Rendering vielleicht in Neuseeland gemacht. Oder in Nordirland.
Oder vielleicht auch in Hollywood selbst. Aber der Punkt ist, wir sprechen hier vom Filmbusiness. Da wird geredet. Bei dem Interesse, daß diese Clips inzwischen geweckt haben, müßte man schon eine geradezu pathologische Geheimhaltungskultur haben, damit nichts durchsickert.«
»Also nicht ›Keller-Kubrick‹«, sagt sie, »sondern ›Spielbergs stilles Kämmerlein‹, die Theorie, daß die Clips von jemandem stammen, der bereits über die avanciertesten technischen Mittel verfügt. Von jemandem, der aus irgendeinem Grund beschlossen hat, höchst unkonventionelles Material auf höchst unkonventionelle Art zu produzieren und zu veröffentlichen. Und der die Macht hat, den Deckel drauf zu halten.«
»Glauben Sie das im Ernst?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Wieviel Zeit haben Sie damit verbracht, sich die Clips selber anzusehen?«
»Nicht viel.«
»Was fühlen Sie, wenn Sie sie sehen?«
Er guckt auf seine Nudeln, dann in ihre Augen. »Einsamkeit?«
»Die meisten Leuten stellen fest, daß das noch intensiver wird. Irgendwie polyphon. Dann ist da das Gefühl, daß das Ganze irgendwohin steuert, daß etwas passieren wird, daß sich etwas verändern wird.« Sie zuckt die Achseln. »Das kann man nicht beschreiben, aber wenn man eine Weile damit lebt, dann kommt es von ganz alleine. Eine dermaßen starke Wirkung, ausgelöst durch so wenig Filmmaterial. Ich glaube einfach nicht, daß es einen etablierten Filmemacher gibt, der das kann, obwohl bestimmte Regisseure auf den Cliphead-Boards immer wieder ins Feld geführt werden.«
»Aber vielleicht ist es ja auch die Wiederholung. Vielleicht haben Sie dieses Zeug ja so lange geguckt, daß Sie das alles nur hineininterpretiert haben. Und vielleicht reden Sie ja nur noch mit Leuten, denen es genauso geht.«
»Das habe ich mir auch schon einzureden versucht. Ich würde es ja so gern glauben, schon um loslassen zu können. Aber dann gehe ich hin und gucke mir die Clips noch mal an, und da ist wieder dieses Gefühl … Ich weiß nicht. Daß es sich irgendwohin öffnen wird. Ins Universum? In eine Erzählhandlung?«
»Essen Sie auf. Dann können wir reden.«
Und das tun sie schließlich auch, während sie einen Spaziergang machen. Die High Street, von der jetzt alle Wochenendkreuz-zügler verschwunden sind, hinauf bis zum Camden Lock, vorbei an den Schaufenstern des Designers, von dem Damiens Küchenschränke sind. Boone streift kurz seine Kindheit in Oklahoma, die Höhen und Tiefen seiner Start-up-Zeit, die Unwägbarkeiten, mit denen es die Computerindustrie und die Wirtschaft im allgemeinen seit dem elften September zu tun haben. Er bemüht sich offensichtlich, ihr mitzuteilen, wer er ist.
Cayce ihrerseits erzählt ihm ein wenig von ihrer Arbeit und nichts von den besonderen Empfindlichkeiten, auf denen sie basiert.
Bis sie auf dem alten Treidelpfad am Kanal sind, unter einem Himmel, der aussieht wie ein zu grell von hinten beleuchtetes Graustufen-Cibachrom von einem Turner-Druck. Diese Stelle erinnert sie an einen Disneyland-Besuch mit Win und ihrer Mutter, als sie zwölf war. Die
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