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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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nunmehr weit geöffneten Vorhängen aus einer gänzlich anderen Richtung zu kommen scheint.
    Zusammengerollt in einer warmen Höhle aus Baumwollstoff und Frottee, die Fernbedienung in der Hand, läßt sie die Abwesenheit ihres Vaters an sich heran.
    Weder sie noch ihre Mutter hatten gewußt, daß Win in New York war, und der Grund oder die Gründe dafür sind bis heute ein Rätsel. Er lebte in Tennessee, auf einer ehemaligen Farm, die er zehn Jahre zuvor erworben hatte. Er arbeitete an humanen Crowd-Control-Barrieren für Stadion-Konzerte. Zum Zeitpunkt seines Verschwindens hatte er in diesem Zusammenhang diverse Patente beantragt, die jetzt, sollten sie erteilt werden, an seine Erben fallen. Die Firma, für die er arbeitete, lag an der Fifth Avenue, aber auch dort war man nicht über seinen New-York-Aufenthalt informiert gewesen.
    Niemand hatte je mitgekriegt, daß er im Mayflower über—nachtet hätte, aber dort war er am Vorabend eingetroffen, nachdem er übers Internet ein Zimmer gebucht hatte. Er war direkt auf sein Zimmer gegangen und offenbar auch dort geblieben. Er hatte beim Zimmerservice ein Thunfischsandwich und ein Tuborg geordert. Anrufe hatte er keine getätigt.
    Da nicht bekannt war, was er an diesem Morgen in New
    York gewollt hatte, gab es auch keinen Grund zu der Annahme, daß er sich in der Nähe des World Trade Center aufgehalten hatte. Aber Cynthia, Cayces Mutter, von Stimmen geleitet, war sich sofort sicher gewesen, daß er unter den Opfern war. Als sich später herausstellte, daß die CIA eine Art Filiale in einem der kleineren Nachbargebäude unterhalten hatte, stand für sie fest: Win war dort gewesen, um einen alten Freund oder Ex-Kollegen zu besuchen.
    Cayce selbst war an diesem Morgen, zum Zeitpunkt des Einschlags der ersten Maschine, in SoHo und wurde dort Zeugin eines Mikro-Ereignisses, das, so jedenfalls erschien es ihr im Rückblick, wenn auch auf eine äußerst private, verhaltene Weise, verkündete, daß die Welt in eben jenem Moment ‘ne Ente ins Gesicht kriegte.
    Sie sah ein einzelnes Blütenblatt von einer vertrockneten Ro-se fallen, im Schaufenster eines exzentrischen Antiquitätenhändlers in der Spring Street.
    Sie lungerte dort herum, weil sie bis zu einem Frühstücks—meeting um neun im SoHo Grand noch fünfzehn Minuten
    totzuschlagen hatte und es herrliches Wetter war. Sie starrte geistesabwesend und vermutlich ziemlich zufrieden auf drei rostige gußeiserne Sparbüchsen unterschiedlicher Größe, die alle das Empire State Building darstellten. Sie hatte eben ein Flugzeug gehört, unglaublich laut und wohl auch tief. Sie meinte, flüchtig etwas über dem West Broadway gesehen zu haben, aber es war schon wieder weg. Anscheinend wurde da ein Film gedreht.
    Die vertrockneten Rosen in der altweißen Fiestaware-Vase standen offenbar schon einige Monate dort. Sie waren wohl mal weiß gewesen, sahen jetzt aber aus wie Pergament. Es war ein geheimnisvolles Fenster, mit einer schwarzgestrichenen Sperr-holzrückwand, die keinen Blick in das dahinterliegende Etablissement gestattete. Cayce war noch nie in dem Laden gewesen, um zu gucken, was es da sonst noch gab, aber die Objekte im Fenster schienen auf eine ganz eigene, poetische Art zu wechseln, und darum blieb sie jedesmal, wenn sie dort vorbeikam, kurz stehen.
    Das fallende Blütenblatt und irgendwo ein lauter Knall, den man vielleicht für einen Zusammenstoß schwerer Lastwagen halten konnte, eins dieser ewig unerklärt bleibenden Phänome-ne innerhalb der Geräuschkulisse von Lower Manhattan. Und sie die einzige Zeugin dieses Mini-Geschehens.
    Vielleicht ist da irgendwo eine Sirene oder mehrere, aber in New York jaulen immer irgendwo Sirenen.
    Auf dem Weg zum West Broadway und zum Hotel hört sie
    weitere Sirenen.
    Als sie den West Broadway überquert, sieht sie einen Men—schenauflauf. Leute bleiben stehen, gucken nach Süden. Zeigen mit den Fingern. Auf Rauch vor dem blauen Himmel.
    Es brennt, hoch oben im World Trade Center.
    Sie geht jetzt schneller weiter, Richtung Canal Street, und kommt an Leuten vorbei, die neben einer offenbar ohnmächtig gewordenen Frau knien.
    Die Türme in ihrer Blickrichtung. Anormal: der Rauch. Sirenen.
    In Gedanken immer noch bei ihrem Meeting mit dem Star—
    designer eines deutschen Oberbekleidungsherstellers, betritt sie das SoHo Grand und erklimmt rasch eine Treppe, die aus einer Art Pseudo-Brückenstahlträgern besteht. Punkt neun. Das Licht in der Lobby wirkt irgendwie seltsam, wie unter

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