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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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alles wird mit derart Las-Vegashafter Nüchternheit betrieben, daß sie sich fragt, wieviel Spaß hier wohl selbst der glühendste Enthusiast an irgend etwas haben kann.
    Es wird ihr bestimmt nichts Schlimmeres passieren, als daß sie von einem der berühmten betrunkenen Salarymen ange—quatscht wird, einer Spezies, die sich bis jetzt nie als besonders zudringlich oder auch nur in gefährlichem Grade beweglich erwiesen hat.
    Als sie weitergeht, nimmt der Geräuschpegel phänomenale, ja industrielle Ausmaße an: Musik, Songs, godzillahafte Lust-schreie auf japanisch.
    Tu einfach so, als wäre es das Meer.
    Die einzelnen Häuser sind extrem schmal, die Parterre—
    Fassaden scheinen eine einzige Fläche von bunten Neon—
    Exzessen, aber darüber sind ordentliche, kleine Schilder, alle gleich groß; sie benennen die Dienstleistungen oder Produkte, die das jeweilige winzige Obergeschoß zu bieten hat.
    BEAUTY BRAIN’S FABULOUS FANNY
    Auf halber Höhe, rote Kursivschrift auf gelbem Grund. Während sie noch verdutzt hinaufstarrt, wird sie von jemandem angerempelt, der etwas Unfreundliches auf japanisch sagt und weitertorkelt. Sie merkt jäh, daß sie mitten auf der Straße steht, vor einem dröhnenden Porno-Palast, dessen offenen Eingang zwei gelangweilt wirkende Aufreißer oder Rausschmeißer flankieren. Ohne daß sie es will, fällt ihr Blick auf einen großen Hi-Def-Schirm, wo eine entschieden exotische Art des Ge-schlechtsverkehrs praktiziert wird, klinisch und brutal zugleich.
    Sie macht, daß sie weiterkommt.
    Sie biegt um irgendwelche Ecken, läuft herum, bis es dunkel genug ist, um die Sonnenbrille abzunehmen. Das Meerestosen hat etwas nachgelassen.
    Die Welle rollt heran. Cayce kriegt weiche Knie.
    Eine ganz schön grimmige Form von Jetlag haben sie hier.
    Dagegen fühlt sich die Londoner Spielart an wie der Morgen nach einer schlaflosen Nacht.
    » Beauty Brain « , erklärt sie der schmalen, absolut menschen-leeren Straße, »sollte ihre fabulöse Fanny jetzt besser nach Hause verfrachten.«
    Aber wo genau ist das?
    Sie guckt zurück in die Richtung, aus der sie gekommen ist, die schmale Straße entlang, die keinen abgegrenzten Gehweg hat.
    Und hört das nahende Knattern eines kleinen Motors.
    Auf der letzten Kreuzung taucht ein Rollerfahrer auf, eine behelmte Gestalt vor dem Restneonlicht. Er hält. Der Helm wendet sich ihr zu, scheint sie zu mustern. Das Visier ist undurchdringlich, verspiegelt.
    Dann jagt der Fahrer den kleinen Motor hoch, wirft den Roller herum und ist verschwunden wie eine Halluzination.
    Sie starrt auf die leere Kreuzung, die ihr jetzt wie eine beleuchtete Bühne vorkommt.
    Einige Ecken weiter findet sie den Weg wieder, orientiert sich an einer fernen Gap-Reklame.
     
    Das Fernsehen lüftet das Billy-Prion-Geheimnis.
    Als sie, geduscht und in einen weißen Frotteebademantel gewickelt, die Vorhänge öffnen will, um einen weiteren Blick auf die elektrifizierte Legoszenerie zu werfen, aktiviert die Universalfernbedienung statt dessen den Riesenfernseher. Und da ist er, in voller BSE-NeoPunk-Kluft; die eine Mundhälfte tot, die andere zu einem dementen Grinsen verzogen, hält er ein Fläschchen Bikkle in die Kamera, einen Suntory-Soft-Drink auf Joghurtbasis, für den auch Cayce eine gewisse Schwäche hat.
    Eins ihrer bevorzugten Getränke im Lande von Pocari Sweat und Calpis-Wasser.
    Es schmeckt, als ob Eiswürfel darin zerschmolzen wären, erinnert sie sich und will sofort eins haben.
    Also, denkt sie, als der Spot endet, ist Billy Prion derzeit das Gaijin-Gesicht von Bikkle. Daß er im Westen in letzter Zeit kaum in Erscheinung getreten ist, scheint hier nicht weiter zu stören.
    Als sie es geschafft hat, den Fernseher wieder auszuschalten, läßt sie die Vorhänge zu und löscht die Lichter im Zimmer, eins nach dem anderen, von Hand.
    Noch immer im Bademantel, rollt sie sich zwischen den Laken des großen weißen Betts zusammen und betet, daß die Welle kommen und sie für möglichst lange Zeit da—vonschwemmen möge.
    Die Welle kommt, aber irgendwo darin ist ihr Vater. Und die Gestalt auf dem Roller. Die blinde Fläche dieses chrombe—dampften Visiers.

15 DIE
    SINGULARITÄT
     
    Win Pollard wurde zuletzt am Morgen des 11. September 2001
    in New York City gesehen. Der Portier des Mayflower winkte ihm ein Taxi herbei, konnte sich aber später an kein Fahrtziel erinnern. Ein Dollar Trinkgeld von dem Mann im grauen Mantel.
    Sie kann jetzt daran denken, weil das japanische Sonnenlicht bei

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