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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Wasser. Ihr ist, als träumte sie.
    Es brennt im World Trade Center.
    Sie findet ein Haustelefon und läßt sich zu ihrem Designer durchstellen. Er meldet sich auf deutsch, heiser, erregt. Er scheint völlig vergessen zu haben, daß sie zum Frühstück verabredet sind.
    »Kommen Sie bitte rauf«, auf englisch. Dann: »Da war eine Maschine«, dann etwas Hektisches, halb Ersticktes auf deutsch.
    Er legt auf.
    Eine Maschine? Ein Anrufbeantworter? Hat er sie angerufen, weil sich der Termin geändert hat? Er ist im achten Stock. Will er auf seinem Zimmer frühstücken?
    Als die Lifttür hinter ihr zugeht, schließt sie die Augen und sieht das trockene Blütenblatt fallen. Die Einsamkeit der Dinge.
    Ihr heimliches Leben. Als ob man sähe, wie sich in einem Objektkasten etwas bewegt.
    Die Zimmertür des Designers öffnet sich, als sie gerade an—klopfen will. Er ist blaß, jung, unrasiert. Brille mit dickem schwarzem Gestell. Sie sieht, daß er auf Strümpfen ist, das frische Hemd falsch geknöpft. Sein Hosenstall steht offen, und er starrt sie an wie etwas, das er noch nie gesehen hat. Der Fernseher läuft, CNN, laut, und als sie an dem Designer vorbei ins Zimmer tritt, unaufgefordert, aber aus dem Gefühl heraus, etwas tun zu müssen, sieht sie auf dem Bildschirm unter dem unbenutzten Kunstleder-Eiskübel den Einschlag des zweiten Flugzeugs.
    Und schaut auf, zum Fenster, das die Türme umrahmt. Und was ihr in Erinnerung bleiben wird, ist, daß der Feuerball des explodierenden Treibstoffs einen Grünstich hatte, über den sie nirgendwo etwas hören oder lesen wird.
    Cayce und der deutsche Designer werden zugucken, wie die Türme brennen und schließlich in sich zusammensacken, und ihr wird klar sein, daß sie Menschen springen und fallen gesehen haben muß, aber sie wird sich nicht daran erinnern.
    Es wird sein, als ob man einen eigenen Traum im Fernsehen sieht. Eine ungeheure, zutiefst persönliche Verletzung aller normalen Grenzen zwischen Innen und Außen.
    Eine Erfahrung jenseits der Kultur.
     
    Sie findet den richtigen Knopf auf der Fernbedienung, und die Vorhänge gleiten wieder auseinander. Sie kriecht aus ihrer weißen Höhle, in dem zerknautschten, verrutschten Bademantel, und tritt ans Fenster.
    Blauer Himmel. Ein klareres Blau, als sie es mit Tokio assoziiert. Man fährt jetzt bleifrei.
    Sie guckt auf den Wald, der den Kaiserpalast umgibt, und sieht die paar Fleckchen Dach, die ihr Bigends Reisefrau versprochen hat.
    Es muß Pfade durch diesen Wald geben, Pfade von unvor—
    stellbarem Zauber, die sie nie sehen wird.
    Sie versucht, den Grad der Seelenverspätung zu taxieren, fühlt aber gar nichts.
    Sie ist allein hier, allein mit dem Hintergrundbrummen der Klimaanlage.
    Sie greift zum Telefon und ordert das Frühstück.

16 MOBIL
    Dann dieser Geruch, der sich im Rachen festsetzte, wie von heißem Backofenspray. War er je wieder ganz verschwunden?
    Sie konzentriert sich auf ihr Frühstück, perfekt pochierte Eier und Toast, von einem etwas fremdartig dimensionierten Brot-laib geschnitten. Die beiden Bratspeckscheiben sind kroß und ganz flach, wie gebügelt. Gehobene japanische Hotels interpre-tieren westliche Frühstückssitten wie die Rickson-Hersteller die MA-1.
    Sie hält inne, die Gabel auf halbem Weg zum Mund, und guckt auf den Wandschrank, in den sie gestern abend die Jacke gehängt hat.
    Blue Ant Tokio hat Weisung, ihr in jeder erdenklichen Hinsicht behilflich zu sein.
    Als sie aufgegessen und den Teller mit dem letzten Eckchen der letzten Toastscheibe sauber gewischt hat, gießt sie sich eine zweite Tasse Kaffee ein und sucht die Blue-Ant-Nummer auf ihrem Laptop. Sie wählt sie auf dem Handy und hört jemanden »Mushi mushi« sagen, was ihr ein Lächeln entlockt. Sie läßt sich mit Jennifer Brossard verbinden und erklärt ihr, ohne weitere Einleitung als ein schlichtes Hallo, sie brauche eine Buzz-Rickson-Reproduktion der schwarzen MA-1-Fliegerjacke, in der Größe, die der amerikanischen Herrengröße 38 entspreche.
    »Noch was?«
    »Die Dinger sind nicht aufzutreiben. Die Leute bestellen sie ein Jahr im voraus.«
    »Ist das alles, was Sie brauchen?«
    »Ja, danke.«
    »Dann auf Wiederhören.« Jennifer Brossard legt auf.
    Cayce drückt auf Beenden und starrt kurz hinaus auf den Himmel und die bizarren Türme, die mit etwas verkleidet sind, das aussieht wie gestapeltes Mikrowellengeschirr oder aber die Hightech-Version von Faltensäumen.
    Ihre Ansinnen, schließt sie, müssen nicht plausibel sein

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