Mustererkennung
sie ganz am Anfang gelernt hat.
Während sie das Bodenprogramm durchgeht, soweit sie es noch zusammenkriegt, spürt sie den traurigen Blick des Russen auf sich ruhen und registriert erstaunt, daß seine Anwesenheit sie richtig freut.
So ein Vormittag ist das.
Sie möchte unbedingt raus, bis zur nächsten Metrostation laufen, das berühmte Minifahrgeld bezahlen und hinabtauchen in die wunderbare Welt der steinernen Verzierungen, die sie von Fotos kennt. Die U-Bahnhöfe, die einzig wahren Paläste des Proletariats. Und sich auf diese Weise ein wenig die quälende Wartezeit vertreiben.
Aber das geht nicht, und darum tut sie es auch nicht.
Sie wartet auf Nachricht von Stella.
Kurz nach Mittag klingelt ihr Handy.
»Hallo?«
»Wo sind Sie?« Bigend.
»Poole«, lügt sie reflexartig.
»Schwimmen?«
»Mit ›e‹ am Schluß. Die Stadt. Und wo sind Sie?«
»Paris. Sylvie sagt, Sie kommen auch bald?«
»Ich weiß noch nicht genau. Ich verfolge hier eine Spur. Ich hoffe, Sie sind nicht nur meinetwegen dort. Könnte sein, daß ich doch nicht komme.«
»Durchaus nicht. Sie wollen mir nicht sagen, was für eine Spur?«
»Nicht am Handy. Wenn wir uns sehen.« Das hätte glatt von Boone sein können, sie hofft, Bigend nimmt es ihr ab.
»Sie haben mit Boone gesprochen.« Keine Frage.
»Ja.«
»Er hatte das Gefühl, daß die Dinge, die er in Ohio in Erfahrung gebracht hat, Sie nicht sonderlich beeindruckt haben.«
»Er ist einfach zu sensibel in dieser Hinsicht.«
»Stimmt die Chemie nicht?«
»Wir haben ja kein Verhältnis miteinander, Hubertus.«
»Aber Sie halten mich auf dem laufenden, nicht wahr?«
Sie geht davon aus, daß er nicht wissen kann, wo er sie am Handy erreicht hat, und sie hofft, daß sie sich da nicht täuscht, aber im Moment kann sie sowieso nichts machen. »Ja, natürlich. Ich muß jetzt los, Hubertus. Wiederhören.«
Sie stellt sich vor, wie er sein Telefon anstarrt.
Ihrs klingelt erneut. »Ja.«
»Hallo. Hier ist Stella. Sie wollen uns noch immer besuchen?«
»Ja. Selbstverständlich. Sehr gerne.«
»Ist nicht zu früh? Sie haben geschlafen?«
»Ja, danke.« Sie fragt sich, wie Stellas Tagesablauf wohl aussieht.
»Wenn Sie warten neben Sicherheitsschleuse, Wagen kommt. Dreißig Minuten, ist gut?«
»Ja! Bitte!«
»Auf Wiedersehen.«
Sie steht auf, in Slip und Fruit-T-Shirt, und fängt an, sich an-zuziehen. Irgendwie ist ihr klar, daß sie sich Mühe geben muß, so elegant wie möglich zu erscheinen, also entscheidet sie sich für die gute japanische Strumpfhose, ihre französischen Schuhe und das Rockding, auf volle Länge ausgerollt und über den Busen gezogen, was ein ganz passables Kleidimitat ergibt. Sie geht ins Badezimmer, legt Make-up auf, dann kommt sie zu-rück, zieht ihre dünne schwarze Strickjacke drüber und checkt schnell ihre Mails.
Damien.
Schwerer Tag. Ich hab dir bestimmt schon fünf—zigmal gesagt, wie sehr ich an den Dokumentarfilm glaube. Ich weiß, die Leute nehmen mir das nicht ab, weil ich ein Meister im Verstel—len bin und nichts so ist, wie es erscheint, bla-bla-bla, aber es ist trotzdem wahr, weil es bei The Face in diesen kleinen Kästchen
steht. Na schön, heute nacht kommen mir doch Zweifel, weil wir nämlich einen kompletten
Stuka ausgebuddelt haben. Hatte ich dir das
schon geschrieben? Ein vollständig erhaltenes Flugzeug, das aus irgendeinem bescheuerten
Grund einen Meter zwanzig unterm Modder gelandet ist, aber dieser Gurutyp, der wußte ganz genau, wo’s war. Er behauptet, das sind Träume und Visionen, aber ich glaube eher, der rennt im Winter mit ‘nem Metalldetektor durch die
Gegend. Jedenfalls hat er gesagt, hier an der Stelle, hier ist dieses Flugzeug, hier müßt
ihr graben, und bevor wir nach London zurück—geflogen sind, hatten sie schon einen Graben gebuddelt und waren drauf gestoßen. Aber Bestechung und Drohungen haben gesiegt, jedenfalls bis wir wieder da waren und zusätzliche Kameras und mehr Leute mitbrachten, weil ich wollte, daß dieses Flugzeug auf dem Höhepunkt des Films auftaucht. Ich hatte keine Ahnung, daß es ein Stuka war, hat mich total umgehau—en, das ist einfach der nazimäßigste Flieger, den’s überhaupt gibt, unglaublich. Sturzkampf—bomber, die Dinger haben sie in Spanien eingesetzt, Guernica und so. Die totale Ikone. Also jedenfalls ist das Ding da, endlich, heute,
steht in dieser riesigen scheiß Grube, die sie ausgeschachtet haben, und ist total mit diesem grauen Zeug verkleistert,
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