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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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steht. An den Ladenfronten sieht sie Bruchstücke nichtkyrillischer Aufschriften: BUTIQUE, KODAK, einen Drogeriemarkt namens PHARMACOM.
    Als sie links abbiegen, fragt sie: »Wie heißt diese Straße?«
    »Georgjewski«, sagt der Fahrer, was allerdings genausogut sein Name sein könnte. Er biegt abermals ab, diesmal in eine Gasse, und hält.
    Cayce will gerade ansetzen, ihm zu erklären, daß sie ihn nicht gebeten habe, stehenzubleiben, doch er steigt aus, kommt auf ihre Seite, öffnet ihr die Tür. »Kommen Sie.«
    Grauer, mißmutiger Beton. Kyrillische Scatertags in wulsti—gen Lettern – eine unbeholfene Hommage an New York und Los Angeles.
    »Bitte.« Er zerrt eine mächtige, vom Alter zerbeulte Stahltür auf, die mit dumpfem Knall die Grenze erreicht, die die Befesti-gungskette ihr setzt. Drinnen herrscht Dunkelheit. »Hier.«
    »Kino«, sagt er. »Film. Cinema.«
    Sie geht an ihm vorbei und befindet sich in einem düsteren, undefinierbaren Raum. Als die Tür hinter ihnen zukracht, gibt es nur noch von oben etwas Licht. Am Ende einer halsbreche-risch steilen, schmalen, scheinbar geländerlosen Betontreppe ist eine nackte Glühbirne zu sehen.
    »Bitte.« Er zeigt auf die Treppe.
    Jetzt sieht sie, daß es doch ein Geländer gibt, oder besser, den spillerigen Geist eines solchen: eine einzelne Stahlstange von etwa einem Zentimeter Durchmesser. Gehalten von nur zwei Stützstreben, hängt sie durch wie ein schlaffes Seil, und als Cayce sich festhalten will, schwankt die Stange.
    »Er hat ‘ne Ente ins Gesicht gekriegt …«
    »Hoch, bitte.«
    »Sorry.« Sie fängt an hinaufzusteigen, merkt, daß er hinter ihr ist.
    Wieder eine Stahltür, schmaler, unter der Vierzig-Watt—Birne. Sie öffnet sie.
    Eine Küche, in rotes Licht getaucht.
    Wie die Küchen in den ältesten, bis heute unsanierten Mietshäusern von New York, nur größer, und der Herd, der in prä-
    stalinistischer Präsenz dahockt, ist breiter als der Wagen, der sie hergebracht hat. Er wird mit Kohle oder Holz befeuert.
    Während in den New Yorker Mietshausküchen an zentraler Stelle eine Badewanne steht, gibt es hier eine Dusche: vier geflieste Wände um ein kleines quadratisches Betonbecken, wo das Wasser abfließen kann. Der alte vernickelte Duschkopf, der aussieht, als wäre er für landwirtschaftliche oder tierärztliche Zwecke bestimmt, hängt von der vier Meter achtzig hohen, vom Rauch und Ruß der Jahrzehnte geschwärzten Decke herab. Die Quelle des roten Lichts ist ein gestohlenes Metroschild mit einer Glühbirne dahinter, das an der Wand lehnt.
    »Sie sind hier«, sagt Stella, die die Tür zur Küche geöffnet hat; hinter ihr ist es hell. Sie sagt etwas zu dem Fahrer, auf russisch. Er nickt, geht rückwärts durch die Tür, die zur Treppe führt, und schließt sie hinter sich.
    »Wo ist hier?«
    »Kommen Sie.« Stella führt sie in ein anderes Zimmer, diesmal eins mit hohen, ungeputzten Fenstern, die aussehen, als hätten sie ursprünglich Innenrolläden gehabt. »Der Kreml«, sagt Stella und zeigt auf einen Punkt inmitten der näher stehenden Häuser, »und die Duma.«
    Cayce schaut sich um. Die Wände, die mindestens seit der Sowjetära nicht mehr gestrichen worden sind, erinnern sie an das Nomiya in Roppongi, wo sich auf dem, was vielleicht einstmals ein Elfenbeinton gewesen war, jahrzehntealtes Nikotin abgelagert hatte. Rissig, uneben. Die Ritzen zwischen den einzelnen Brettern des Holzfußbodens unter Schichten von Farbe verschwunden, die jüngste davon Kastanienbraun. Es gibt zwei nagelneue, sehr weiße Ikea-Schreibtische mit verstellbaren Drehstühlen, zwei PCs, Ablagekörbe voller Papier. An der Wand darüber ein langer, komplizierter Plan, der über drei nebeneinander angebrachte weiße Pinnwände geht.
    »Sergej sagt, ist Produktion, die niemals ein Ende hat«, sagt Stella, als sie sieht, daß Cayce nicht auf die Aussicht achtet, sondern sich den Plan anschaut. »Nur Anfang von das Werk kann hier gemacht werden natürlich.«
    »Aber wird es ein Ende haben?« Cayce merkt erschrocken, wie sie rot wird, weil sie der Versuchung nicht widerstehen konnte, so direkt zu fragen.
    »Sie meinen, ist linear Erzählung?«
    »Ich mußte fragen.« Sie kommt sich vor, als würden Parkaboy, Ivy, Filmy und Maurice, das ganze F:F:F, in den Kulissen stehen und auf sie bauen.
    »Ich weiß nicht. Eines Tages, vielleicht, sie wird anfangen zu schneiden, wie sie geschnitten hat ihre Studentenfilm: auf eine einzige Einstellung. Oder vielleicht eines Tages sie

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