Mustererkennung
wie ein Flugzeug,
das sich als Lehm-Mann aus Neuguinea verkleidet hat. Bei weitem die größte Ausgrabung, die bis jetzt hier in Angriff genommen wurde,
soweit wir wissen, und so ziemlich der Gipfel an angewandter Sozialwissenschaft, das Ding
freizulegen, ohne daß irgendwer die Haube
geöffnet hat und ins Cockpit eingestiegen ist.
Die letzten zwei Nächte haben Brian und Mick Wache gestanden, und von den Typen, die gegra—ben haben, hat keiner das Ding angerührt. Aber wir wußten natürlich, daß sie’s irgendwann tun würden und daß wir bereit sein mußten zum
Drehen, denn dazu sind wir ja hier. Ein paar von den großen starken Jungs mit den Spinnen—netz-Tattoos sind rauf geklettert, oben auf
die Tragflächen, die vom Lehm ganz glitschig sind, aber vom Rand der Grube aus kann ich an den Stellen, wo die Stiefel weggerutscht sind, sehen, daß das Ding in einem Eins-a-Zustand
ist – museumstauglich. Unheimlich gut erhalten. Und dann klettert Brian hoch, um mit der Handkamera zu drehen, von nahem, und da krat—zen sie mit den Händen das Graue von der Haube ab. Und da ist doch echt der Pilot noch drin.
Man sieht den Umriß des Kopfes, anscheinend
mit Fliegerbrille. Ich hab noch nie gesehen, daß Brian das Auge vom Sucher genommen hat,
aber da hat er’s getan, hat sich einfach umge—dreht mit diesem ACH-DU-SCHEISSE!!!-Blick, und ich ihm ein Zeichen gemacht, LOS, RAN, DREHEN!
Und da hat er’s gedreht. Alles: wie sie die
Haube aufgehebelt haben und wie sie ihn einfach auseinandergerissen haben, den Piloten.
Der ist regelrecht zerfallen. Eine Armbanduhr haben sie rausgeholt, einen Kompaß vom anderen Handgelenk und eine Pistole, und dann haben
sie sich wegen der Knarre in die Haare gekriegt und haben sich gegenseitig von der Tragfläche runter geschubst und dabei ist er auseinandergefallen. Und Brian hat das alles gedreht, und an der zweiten Kamera war Mick, und der hat auch noch einiges aufgenommen, und dann noch die Neuen. Ich meine, jede Menge
Material. Und irgendwann gucke ich mich um und sehen wie Marina dasteht und lacht. Nicht aus Hysterie im Angesicht des Grauens, nein, die lacht einfach, weil sie das komisch findet.
Und darum sitze ich jetzt alleine hier im Zelt und schreibe dir, weil ich ihr an irgendeinem Punkt schließlich gesagt hab, sie soll sich
verpissen. Und Mick und Brian sind besoffen, und ich hab Angst, mir das Zeug anzusehen, was die gedreht haben. Ich weiß, daß ich’s nicht tun werde, vielleicht morgen, aber jetzt geh ich mich erst mal anständig besaufen. Und wie ist der Typ da runtergekommen mit seinem Flugzeug? Also danke, wie man so schön sagt, fürs Zuhören, und vergiß nicht, dem scheiß Goldfisch Wasser zu geben. Ich hoffe, dir geht’s gut mit der ganzen Scheiße, die du am Hals
hast.
Ich liebe dich.
Sie schüttelt den Kopf, liest noch einmal.
Ich lieb dich auch. Kann jetzt nichts weiter schreiben. Später. Mir geht’s gut. Und ich bin auch in Rußland, in Moskau. Erzähl’s dir spä-
ter.
Sie fängt an, das iBook wieder in die Tasche zu packen, hält aber inne. Irgendwie kommt es ihr nicht richtig vor, das Ding mit zu der Filmemacherin zu nehmen. Sie entscheidet sich für ihre DDR-Mappe und packt die wichtigsten Sachen aus der Luggage-Label-Tasche um, da fällt ihr ein, daß ihr Paß immer noch an der Rezeption liegt. Sie wird ihn beim Rausgehen abholen.
Unten in der Mappe stößt sie mit der Hand an etwas Kaltes. Sie holt es heraus: das Metallstück von Damiens Robotermädchen, ihr behelfsmäßiger Schlagring in Camden. Gut, daß sie die Mappe nicht im Handgepäck hatte. Sie schiebt das Metallstück wieder rein, als Glücksbringer, für sie beide, vergewissert sich, daß sie den Zimmerschlüssel hat, und geht hinaus, den Kopf voller Bilder aus Damiens Mail.
Als der Fahrer losfährt, in die Richtung, in die sie am Abend zuvor gegangen ist, fällt ihr ein, daß sie doch vergessen hat, sich ihren Paß geben zu lassen.
37 KINO
Sie biegen in eine breite Straße ein, die Cayce, nachdem sie heute früh im Internet die Moskauer Gelben Seiten nach einem Stadtplan durchforstet hat, versuchsweise als Twerskaja identifiziert. Ihr Fahrer, der jetzt einen Handykopfhörer im Ohr hat, trägt Eau de Cologne.
Sie bleiben auf der Twerskaja, wenn es denn die Twerskaja ist, und schwimmen mit dem Verkehrsstrom. Das Blaulicht wird nicht eingeschaltet.
Sie fahren unter einem Spruchband hindurch, auf dem in englischer Sprache »Wachsfigurenausstellung«
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