Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
und in China ist durch fundamentale Umbrüche gekennzeichnet: Russlands Bevölkerung versucht sich aus der Allmacht der Oligarchen zu befreien und kämpft neben politischer Freiheit um aus unserer Perspektive so selbstverständliche Dinge wie freies Unternehmertum im kleinen und mittelständischen Bereich. Die junge Demokratie Mongolei kämpft mit harten Wintern und Rohstoffreichtum. Die harten Winter entzogen den Nomaden, die immerhin noch 50 Prozent der mongolischen Bevölkerung ausmachte, die Existenzgrundlage – das Vieh erfror oder verhungerte. Die seit Jahrhunderten den extremen Witterungsbedingungen trotzenden Nomaden sind zunehmend gezwungen, in den Städten sesshaft zu werden und sich eine neue Existenzgrundlage zu schaffen. Ein Drittel der Bevölkerung des Landes, das auf der Top-Ten-Liste der rohstoffreichsten Länder geführt wird, lebt in bitterer Armut. Der theoretische Reichtum lässt Korruption erblühen, die demokratische Strukturen wieder bedroht. China ist zerrissen zwischen mittelalterlich lebender armer Land- und modern orientierter Stadtbevölkerung, der es laut Medienberichten in Abgrenzung zur westlichen Kultur an einem eigenen Selbstverständnis fehle. Staatliche Familienplanung gepaart mit kapitalistischem Leistungsdruck. Uniformitätskultur auf der Suche nach kreativen Ausdrucksformen.
Meine Idee war, dass die politischen und gesellschaftspolitischen Spannungen in den von mir und Levi hoffentlich bald bereisten Regionen auch Nährboden für ein je eigenes spannendes, kreatives, improvisiertes Selbstverständnis berufstätiger Frauen und Mütter wären und mich ein Austausch mit diesen Frauen oder auch nur ein Beobachten oder Erspüren ihrer Lebenssituation bei der Suche nach einem für mich und uns passenden Familienmodell anregen würde. Dabei stellte ich mir vor, dass diese umbrucherprobten Menschen mit mir als einer eher untypischen Vertreterin der Spezies Mutter – einer Unternehmerin, die mit ihrem Baby die transmongolische Route der Transsib bereist – offen und interessiert umgingen und ich im Gespräch mit ihnen Klarheit für mich selbst erlangen würde. Wonach ich suchte, waren Ideen für unser Leben zu Hause. Für unser neues Leben mit Baby. Jenseits der typischen Familienklischees.
Zu Hause hatte ich dazu wenig Anregungen gefunden.
Über die glücklose Suche nach der emanzipierten Familie in Deutschland
Vor Levis Geburt hatte ich mich umgeschaut, nach den möglichen Richtungen, in die unser Leben sich verändern würde. Könnte. Müsste? Denn in einem waren sich alle einig gewesen: Ein Kind verändert das Leben. Fundamental. Nur hinsichtlich der Richtung dieser Veränderung, und ob sie positiv oder negativ sei, hatten die Massen beharrlich geschwiegen.
Also Feldforschung. Wohin ich auch blickte, in unserem Freundeskreis, im Kollegenumfeld, in Funk und Fernsehen: Nirgendwo konnte ich Familienmodelle ausmachen, die so richtig zu uns passten.
Da waren zum Beispiel Tanja und Frank. Tanja, sehr erfolgreich in einem Konzern, war von der Geburtsklinik in den Flieger in die USA zu einem wichtigen Meeting gehüpft, natürlich nicht ohne vorher noch 50 Liter Muttermilch für das Baby abzupumpen und im Kühlschrank zu deponieren. Frank hingegen, in Sachen Karriere und Finanzen weniger begünstigt als seine Frau, hatte seinen Job zugunsten der Familie gekündigt, blieb zu Hause und kümmerte sich um das Baby. Tanja arbeitete und reiste vor und nach der Geburt viel. Das Baby wurde die meiste Zeit von Frank und einer Kinderfrau aufgezogen. Frank fand schließlich sein außerfamiliäres Glück in Form einer Professur an einer Fachhochschule. »Kaum Arbeit, was fürs Ego und eine sichere Rente für den Fall, dass Tanja mich verlässt«, lachte er zufrieden über sich selbst.
War das nicht das Paradies für die emanzipatorischen Vorstellungen der Alice-Schwarzer-geprägten Frauen? Ich hingegen konnte der einfachen Umkehr des klassischen Rollenmodells nichts abgewinnen. Und Markus auch nicht. Also weiter.
Martina und Klaus. Martina stammt aus einer Familie, in der Frauen zum Heiraten und Kinderbekommen bestimmt sind. Nachdem sie gegen den Willen ihrer Eltern das Abitur gemacht hatte und studieren wollte, erklärte ihre Mutter, dass sie diese Flausen nicht unterstützen würde. Also machte Martina sich dank einer Lehre finanziell unabhängig, engagierte sich, absolvierte im Abendstudium eine Berufsakademie und wurde stellvertretende Abteilungsleiterin. Als ihr mit Mitte dreißig endlich
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