Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
eine Abteilung zur Leitung angeboten wurde, war sie schwanger. Sie informierte ihren Arbeitgeber vor Annahme der Leitungsposition über ihre baldige Mutterschaft und ihre Intention, zwei bis drei Monate nach der Geburt wieder Vollzeit zu arbeiten, in der Hoffnung, man möge gemeinsam eine Lösung für die Zeit kurz vor und nach der Geburt finden. Das Leitungsangebot verschwand, zu wichtigen Meetings erhielt sie keine Einladungen mehr, Informationen wurden an ihr vorbeigelotst, Entscheidungen ohne ihre Expertise gefällt. Von männlichen wie weiblichen Kollegen und den Vorgesetzten wurde sie geschnitten. Als sie nach der Geburt wieder arbeiten wollte und man ihr eine Halbtagsstelle in einem 70 Kilometer entfernten Ort anbot, für die sie überqualifiziert war, begriff sie, dass sie als Mutter ihrem Arbeitgeber nichts wert war. Sie bekam zwei weitere Kinder und steckte ihre im Übermaß vorhandene Energie fortan in die Organisation des Familienlebens und den Versuch, ein kleines Unternehmen aufzubauen. Nebenbei schob sie Dienst nach Vorschrift bei ihrem Arbeitgeber. Halbtags. Um diesem nicht ihre Rentenansprüche zu schenken und um weiterhin die Mitarbeiterkonditionen des Unternehmens nicht zu verlieren. Den Mutterschutz schöpfte sie voll aus, und ihr Satz: »Warum soll ich früher und mehr arbeiten gehen als nötig und Geld verschenken?«, geäußert bei einem gemeinsamen Frühstück mit anderen Exkolleginnen mit Anhang, die auch alle in die Halbtagsmutterschaft gemobbt worden waren, traf mich. Der Arbeitgeber ihres Mannes war familienfreundlicher und gestattete einen Homeoffice-Tag pro Woche, wenn Martina krank war, einen Termin hatte oder einfach mal etwas Zeit für sich oder Unterstützung zu Hause brauchte.
Oder Christine und Lennart. Sie Ende zwanzig, mit dem Aufbau ihrer Karriere als diplomierte und preisgekrönte Kreative beschäftigt. Er Mitte dreißig und vielversprechender Marketingmanager. Christine hatte sich Chancen, ein Netzwerk, Kontakte und Kunden in München aufgebaut und folgte dennoch Lennart, ohne zu zögern, in die norddeutsche Provinz, von wo aus ihn der Ruf des Aufstiegs ereilt hatte. Er schob noch mehr Überstunden, sie wurde schwanger. Er bereiste Deutschland, sie die seelischen Tiefen einer Frau, die nie Vollzeitmutter oder Alleinerziehende sein wollte und es nun in Ermangelung familiärer Strukturen oder eines Freundeskreises vor Ort, ohne Kitaplatz und angesichts der permanenten beruflich bedingten Abwesenheit ihres Mannes irgendwie war. »Christine verdient halt weniger als ich«, erzähl-te Lennart bei einem gemeinsamen Abendessen. »Sonst würde ich unser Kind die ersten Jahre aufziehen!« Meinen Einwand, dass statistisch betrachtet der weibliche Teil eines Paares meistens jünger sei als der männliche und dass jüngere und insbesondere weibliche Arbeitnehmer meistens weniger verdienten als männliche und somit diese Argumentation irgendwie ein Totschlagargument sei, konterte Lennart mit einem vernichtenden »Ich habe die Gesellschaft nicht gemacht, muss aber in ihr überleben« und ging zufrieden zum Kühlschrank, um eine weitere Flasche Wein zu holen. Als Christine sich frisch machte, ergänzte Lennart verschwörerisch: »Bald machen wir eh ein zweites Kind, dann ist Christine die nächsten Jahre beschäftigt.«
Aber fehlende Beschäftigung war nicht so sehr Christines Problem. Nach einem Vollzeitkinderbetreuungstag arbeitete sie nachts an neuen Entwürfen und Businessplänen. Als Lennart nach zwei Jahren genug Geld für einen privaten Kitaplatz verdiente, war sie ausgelaugt, mutlos, traurig und die Beziehung in einer Schieflage. Es folgten Urlaube, Gespräche, gemeinsame Wochenendaktivitäten, ein erneuter Umzug, die zweite Schwangerschaft. Ende offen.
Oder Anja und Jürgen. Anja hatte sich von dem Vater ihres Kindes getrennt und sich bis zur Hochzeit mit Jürgen, einem erfolgreichen Unternehmer, mit Jobs durchgeschlagen. Nach der Geburt des zweiten Kindes fokussierte Anja auf die Mitarbeit in Jürgens Unternehmen. Und auf die Suche nach ihrem eigentlichen Ding. Jürgen hingegen erklärte Markus und mir beim Essen: »Die paar Tausend Euro, die sie woanders verdienen würde, brauchen wir nicht.«
Es war schwer zu sagen, ob die Männer das Problem waren oder die Frauen, die Gesellschaft oder die individuellen Vorstellungen von Karriere. Aber eines war klar: Ich fand einfach keine Frau, die ich mir mit leuchtenden Augen zum Vorbild hätte nehmen können. Markus keinen Mann, der ihm
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