Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
Strategische Unternehmensführung gelernt. Klang gut. War bewiesen. Und jetzt? Was musste ich lernen, damit mein Leben mit Levi so funktionierte, wie es mir, uns, guttat?
Also: Es lief schon halbwegs rund. Halbrund halt. Die Zeit mit Levi war zwischen Markus, mir, der neuen Nanny und unserer Familienzeit aufgeteilt. Wir beide konnten unseren Jobs nachgehen, wir gingen als Paar abends aus (Nanny sei Dank) und verreisten das eine oder andere Wochenende zu dritt. Trotzdem fühlte ich mich wie eine Maschine, die den Tag abwickelt. Fremdgesteuert. Als ginge es auf einmal darum, etwas zu schaffen. Aber was? Und wer hatte die Messlatte aufgelegt?
Und dann kam dieser Donnerstag: Der Wecker klingelte. Es war 6.30 Uhr. Markus hatte vor einer halben Stunde das Haus verlassen. Schnell duschen und anziehen, bevor Levi aufwacht. Dann Levi waschen, wickeln, anziehen, dabei ein bisschen massieren, singen und lachen. Es wurde acht. Levi bekam seine Flasche, weinte, rülpste, spuckte etwas warme Milch über mein schwarzes Businesskostüm – ich wusste doch, dass ich es erst hätte anziehen sollen, wenn die Nanny um 10.30 Uhr kam –, wir schmusten, tanzten, sangen, bis Levi wieder einschlief. Um 9.30 Uhr: Umziehen, Nanny reinlassen, losfahren ins Büro. Markus übernahm Levi um 16 Uhr, spielte und schmuste mit ihm bis sieben und brachte ihn dann ins Bett, kurz bevor unsere Nanny wieder kam.
Um 20 Uhr saß ich im Restaurant an der Bar und nippte an meinem Aperitif, Markus kam lachend um 20.30 Uhr hereingestürmt. Wir redeten über Levi. Aßen. Redeten über anderes. Wurden müde. Um 23.30 Uhr fiel unsere Haustür hinter der Nanny ins Schloss. Markus kramte seine Unterlagen für den kommenden Tag zusammen. Ich saß an der Küchenbar, trank ein Glas Wasser und atmete tief aus. Geschafft, traf mich der Gedanke nach diesem doch so perfekten Tag völlig unvorbereitet. Ich stand auf, suchte in meiner Jobtasche nach meinem iPhone, um den Plan für morgen anzuschauen und diesen Gedanken loszuwerden. Wann muss ich morgen aufstehen, wann darf ich mit Levi spielen, welche Termine stehen an – aber meine Hände fanden es nicht. Stattdessen förderte ich einen Schnuller zutage und fing an zu weinen. Dabei wollte ich doch jeden Tag intensiv genießen.
»Das Schlimmste ist, dass ich nicht weiß, was ich ändern möchte«, schluchzte ich einem irritierten und erschöpften Markus entgegen. War das die berüchtigte post-post-natale Verwirrung?
Zu allem Überfluss standen auch noch Geschäftsreisen bei mir an. Und obwohl Markus mir versicherte, dass er es gemeinsam mit der Nanny schon schaffen würde, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Warum eigentlich?
Wer oder was trieb mich so an? Und weg von meinem Lebensgefühl? Denn: Vom Zelebrieren und Genießen, vom Gefühl, mit meinem, unserem, Leben im Einklang zu sein, war ich meilenweit entfernt. Ich sehnte mich nach der mir doch so eigenen Lockerheit. »Jammern auf hohem Niveau«, sagten die einen. Die anderen nickten verständnisvoll und sagten mitleidig: »So ist das nun mal mit Baby.«
Das muss auch anders gehen, dachte ich. Es muss doch möglich sein, mein über die Jahre lieb gewonnenes Lebensgefühl zu behalten. Meinen Job, meine Reisen, mei-ne Freunde, meinen Sport, meine Ideen, meine Pläne. Mal einfach rumhängen und lesen, entspannt sein, die Dinge laufen lassen. All das muss doch auch mit Levi möglich sein. All das tut Levi doch auch gut.
Oder war es doch so, wie viele gut gemeinte Ratschläge mich glauben machen wollten: »Ein Kind braucht in den ersten ein, zwei Lebensjahren als primäre Bezugsperson die Mutter! Ein Kind braucht täglich gleichbleibende Abläufe in gleichbleibender Umgebung!«
Entsetzt stellte ich fest, dass es mir mit Kind schwerer fiel als ohne, mich von den Erwartungen und gut gemeinten Ratschlägen anderer abzukoppeln. Warum war das so? Und wessen Stimmen hörte ich da eigentlich? Ich hatte das Gefühl, komplett zu scheitern.
Irgendwann fand ich meine Unsicherheit, mein Gefühl der Zerrissenheit zwischen meinen Anforderungen, Mutter sein zu wollen und trotzdem als Mensch zu überleben, sowie meine nicht von Erfolg gekrönte Suche nach dem perfekten Lebensmodell für uns drei ermüdend. Das hieß nicht, dass ich die Suche einstellte. Die Art der Suche musste sich ändern.
Als sich Babysitterin Nummer zwei kurzfristig entschloss, Deutschland den Rücken zu kehren, war mir klar, was zu tun war: Ich musste weg! Reisen. So wie ich es immer mache, wenn ich mir über
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