Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
Das mit dem Krabbeln könnte nur wegen des Drecks gefährlich sein, der aus den Toiletten in den Gang und in die Abteile getreten wird.«
Der Tag ging besser los, als der gestrige zu Ende gegangen war. War das endlich die Richtige? Die Planerin für Levi und mein erstes Mutter-Sohn-Reiseabenteuer? Auf der Suche nach unserer ganz persönlichen Familienidentität? Vergessen waren die Zweifel der letzten Nacht: Aufgeben war einfach nicht mein Ding!
Meine präzisen Vorstellungen hinsichtlich der Route konterte die ebenfalls abenteuererfahrene Dame mit zwei interessanten Gegenentwürfen, die neben der Tatsache, dass sie zu 90 Prozent nicht mit meinen Vorstellungen übereinstimmten, auch meine Vorgabe, nicht mehr als zwei Stunden Autofahrt pro Tag und das maximal alle vier Tage, mit dem Vorschlag von fast täglichen ausgedehnten Roadtrips ignorierte.
Also schrieb ich in meiner aufsteigenden Verzweiflung darüber, die Reise endgültig gedanklich abblasen zu müssen, denn organisiert war ja noch nichts, eine E-Mail an einen russischen Spezialisten für Sibirien und Transsibreisen. Sechs Stunden später erhielt ich eine Antwort: Ein komplettes Erste-Klasse-Abteil könnte er mir im Zug Rossija , dem Vorzeigezug Russlands, anbieten. Und weil ich ja geschrieben hätte, dass unsere Reise in Sankt Petersburg beginnen würde, könnte ich dort auch in den ehemaligen Baikalexpress steigen. Dann würde ich mir den Flug nach oder das Umsteigen in Moskau sparen. Bestimmt angenehmer mit Baby? Hier gäbe es aber nur noch in der zweiten Klasse ein ganzes Abteil – also vier Plätze – für mich und meinen Sohn. Und yes , meine Vorstellungen für die Zeit am Baikalsee könnten sie umsetzen. Kein Problem. Und dass ich die Mongolei über eine Empfehlung meines nepalesischen Geschäftspartners organisieren möchte, sei auch kein Problem. Sie würden mir trotzdem den Zug bis Peking buchen. »P.S. May be difficult travel with young son? He can sick. Are you really want to journey with young son?«
Sechs Tage, mehrere Diskussionsschleifen mit dem russischen Chef des Unternehmens und zwei seiner Mitarbeiterinnen sowie eine dreitägige russische Funkstille später stand die komplette Reiseroute genau nach meinen Vorstellungen. Jetzt fehlte mir nur noch das Okay aus der Mongolei. Und ein Hotel in Peking. Und die internationalen Flüge. Ich vertröstete meine neuen russischen Freunde, da die Reisepuzzleteile ja ineinandergreifen sollten: Die Abfahrt im sibirischen Irkutsk nach zwei Wochen Baikalsee, fünf Tagen Transsib und einer Woche Petersburg musste zur Ankunft in der Mongolei passen. Meine Mongoleipläne mit dem Zug von Ulan-Bator nach Peking harmonieren.
Und dann das: Acht Tage vor unserer geplanten Abreise äußerte die bis dahin optimistisch agierende Mongolin Bedenken hinsichtlich der für Anfang Oktober geplanten Reise in die Wüste Gobi: Da seien wahrscheinlich alle Jurtencamps geschlossen. Manchmal falle dann der erste Schnee. Ob wir nicht früher kommen könnten? Oder nächstes Jahr? Da der Startschuss fast schon gefallen war und keinen Raum für zeitraubende Diskussionen mit Reiseveranstaltern oder gar eine Änderung der Reiseroute ließ, recherchierte ich auf die Schnelle drei weitere Mongoleiexperten – einen Engländer, einen in der Mongolei ansässigen Schweden und einen Holländer – und beauftragte alle gleichzeitig mit meinem Anliegen. Aufgrund der jüngst gemachten Erfahrungen mit diversen Transsibreiseveranstaltern hoffte ich, dass mindestens zwei der drei mein Vorhaben als zu gefährlich zu den Akten legen und keine Angebote erstellen würden. Zwischendrin besänftigte ich meine drei russischen Freunde, die mir stündlich den kurz bevorstehenden Ausverkauf der nun wirklich allerletzten Zugtickets meldeten – mit der Aussicht auf meine baldige Buchung.
Nun war ich schon vor der Abreise in ein multikulturelles Abenteuer geraten. Die Protagonisten: drei Russen, ein Holländer, ein in der Mongolei lebender Schwede, eine junge Mongolin, ein Engländer, einige Deutsche. Männer und Frauen unterschiedlichen Alters. In zwei Dingen waren sie sich dennoch einig: So kurzfristig eine Transsibreise zu organisieren grenze an Unmöglichkeit. Und: Die Reise mit Baby anzutreten sei mutig bis fahrlässig. Meine Motivation, dieses Risiko einzugehen, unverständlich.
Eigentlich hatte ich mir von der Reise Anregungen und Mut für unser künftiges Leben zu Hause erhofft. Die Situation der Menschen in Russland wie auch in der Mongolei
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