Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
nach ihm ginge, würden wir beide nehmen. Leider gefällt mir außer der Verkäuferin wirklich gar nichts an diesem Stand, und so verabschieden wir uns freundlich und schlendern weiter.
Als ich Levis Mütze zurechtzupfe – die Klimaanlagen sind heute besonders kalt eingestellt –, höre ich ein in perfektem Französisch geführtes Verkaufsgespräch. Und die Stimme kommt mir bekannt vor. Ungläubig drehe ich mich um und sehe unsere Verkäuferin, wie sie schelmisch lächelnd mit einem französischen Paar verhandelt. Jetzt bin auch ich von dieser jungen Frau restlos begeistert. Nicht nur, weil mir in Peking bisher wenig Menschen begegnet sind, die annähernd so gut Englisch sprechen wie diese Frau Deutsch und Französisch. Und Englisch spricht sie sicher auch, da bin ich mir sicher. Aber darüber hinaus arbeitet sie hier in diesem Markt. Und isst sicher nicht auf unserer Hotelterrasse zu Mittag. Gar nichts an dieser Frau deutet auf eine hilfreiche Herkunft hin.
Eine junge selbstbewusste Selfmadefrau. Sie macht ihr Ding. Und lässt sich von kleinen Niederlagen nicht entmutigen. Wow.
Meine emotionale Phase muss die Verkäuferin des Standes, vor dem mir diese Gedanken durch den Kopf sausen, bemerkt haben. Mit herzlich getarnter Brutalität manövriert sie uns in ihr Produktparadies aus gefälschten Pradas, Chanels und Chloés. Da ich mich immer noch wie ein angeschossenes Reh fühle, verpasse ich die letzte Möglichkeit zum Absprung. Halbherzig begutachte ich einige Taschen. Eine gefiele mir im Original tatsächlich, und das bemerkt die gerissene Verkäuferin. Was ich zahlen wolle, fragt sie auf Zeichensprachlerisch.
»Nichts«, antworte ich. »Ich will die Tasche nicht.«
Als Antwort tippt sie einen Preis in den Taschenrechner: 1280 Yuan, umgerechnet etwa 100 Euro. Ich lache. Und will gehen. Sie hält mich fest. Ich stutze. Sie hält mich wirklich physisch fest. Diese 150 Zentimeter kleine Person versperrt mir den Weg und hält mir fast drohend den Taschenrechner unter die Nase. Ich soll was eintippen. Will ich aber nicht. Ich will gehen. Sie lässt nicht locker. Ich bin perplex, und sie schimpfjammert die Verkäuferinnen der Nebenstände zusammen. Lachend tippe ich, ohne nachzudenken, 300 Yuan ein. Sie schimpft und hüpft wie Rumpelstilzchen. Ich will gehen, sie hält Levi fest. Ich habe keine Lust, die Situation eskalieren zu lassen. Körperliche Gewalt anwenden will ich schon gar nicht. Also versuche ich erneut, zu signalisieren, dass ich wirklich kein Interesse an der Tasche habe, weil wir bald weiterreisen und da zu viele Taschen einfach nicht praktisch sind. Daraufhin packt die Dame die Tasche ein und will die 300 Yuan. Als Verkaufsargument krallen sich ihre beiden Hände um meinen rechten Unterarm. Ich zahle, ihr Griff löst sich, und Levi und ich dürfen passieren.
Wir setzen uns vor das Wasserspiel zwischen Niketown, Porsche Showroom und Apple Store und beobachten, wie chinesische Kinder versuchen, durch die Fontänen hindurchzulaufen, ohne nass zu werden. Beziehungsweise versuchen, möglichst nass zu werden und dabei ihren Eltern die gegenteilige Intention zu suggerieren. Dumm stellen, damit die Eltern nicht schimpfen. Levi lacht und scheint zufrieden. Ich kaufe noch ein Oberteil in einem regulären Geschäft. Statt 2000 Yuan wird mir das Kleidungsstück ohne Verhandlungsversuch meinerseits für 800 angeboten. Verstehe einer die Verkaufsstrategien der Chinesen! Danach essen wir in einer der Nudelbuden gegenüber dem Hotel und fallen wenig später wie betäubt ins Bett.
Um 24 Uhr klingelt das Telefon.
»Ich bin gelandet«, höre ich Markus’ Stimme.
»Warst du wirklich heute Mittag noch hier?«, frage ich in die Dunkelheit.
Auf der Flucht gestoppt
»Fahrt ins Commune by the Great Wall «, schlägt Frederic vor. Seine Augen leuchten dazu. »Da fahre ich mit meiner Familie hin, wenn uns die Stadt oder etwas anderes zu viel wird.« Frederic hatte sich zu uns an den Tisch gesetzt und mit den Worten »Ich habe eine Tochter im selben Alter« vorgestellt. Frederic ist Schwede und Unternehmensberater. Seit einigen Jahren lebt er in Peking. Er ist mit einer Chinesin verheiratet und hat eine blonde Tochter mit asiatischen Gesichtszügen. Zum Verlieben. Die Tochter. Dass Frederic so wichtig für unsere Familienmission wird, ahne ich nicht im Entferntesten, als er breit grinsend fragt, ob er mir ein paar Sehenswürdigkeiten in Peking empfehlen kann.
»Nein, es geht uns nicht um die nächste Sehenswürdigkeit
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