Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
in Peking«, hatte ich kurz zuvor mein Hantieren zwischen Reiseführer, iPhone und Levi im Auge behalten erklärt. »Es geht um das Gegenteil. Wir müssen weg aus Peking. Schnell. Möglichst heute noch.« Ich gebe Frederic einen kurzen Überblick über unsere Reise und unsere Mission.
Ich erfahre, dass er in einem Compound für Expatriates lebt. Mit Chauffeur, Putzfrau und Mauer drum herum. Die Eltern seiner Frau leben mit vier weiteren Familienmitgliedern auf 15 Quadratmetern. Das sei guter chinesischer Durchschnitt in Peking. Er erzählt, dass er natürlich weiß, dass die Heirat mit einem Europäer für Chinesinnen Wohlstand bedeute – aber auch bei chinesischen Eheschließungen würden die Frauen vor der Hochzeit schnurren wie die Kätzchen und danach die Krallen ausfahren wie ein Tiger. Viele weibliche Expatriates, die mit ihren Männern nach China kämen, würden keine Arbeitserlaubnis bekommen und sich so um Haus und Kinder und das soziale Leben kümmern. Die Chinesinnen hingegen würden in den Städten zu 90 Prozent arbeiten. Seit Mao den Frauen den halben Himmel versprach, ist Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf ein permanentes Thema in China. Aktuell sei eine weitere Diskussion im Gange: der Egoismus, insbesondere der Frauen. Frauen sollen wieder mehr auch an andere denken, sei die Botschaft.
»Wozu führt das? Beziehungsweise was ist der Hintergrund dieser Diskussion?«, frage ich.
»Es führt dazu, dass Frauen sich entscheiden. Zwischen Arbeit oder Familienleben. Und den möglichen Mischformen. In den stark planwirtschaftlich geprägten Zeiten hat man halt gemacht, was von einem erwartet wurde. Halber Himmel? Okay, dann arbeite ich voll dafür und kümmere mich selbstverständlich zusätzlich um die Familie. Jetzt entscheiden sich mehr und mehr Frauen dafür, halbtags zu arbeiten oder sich längere Zeit ausschließlich um das Kind zu kümmern.« Hintergrund sei ein demografisches und ein soziales Problem Chinas: Aufgrund der Einkindpolitik gebe es zu viele Männer. Und die Männer, die es gebe, seien oft von ihren Müttern verhätschelt und verweichlicht worden und hätten keine hinreichenden sozialen Fähigkeiten. Was in den Firmen der wachsenden Wirtschaftsmacht China mehr und mehr zu Problemen führe. Die Politik überlege sich gerade zur Zweikinderpolitik überzugehen. Und der lange propagierte Egoismus, insbesondere der Frauen, stehe dem erwarteten Erfolg im Wege.
Nach unserem Gespräch über die Lebensumstände in Peking fragt Frederic, was ich zu Hause so mache. »Reiseveranstalter, Buchhandel und Agentur für Innovation?«, wiederholt er fasziniert. »Dann habe ich noch eine Idee! Bleib doch heute noch in Peking, dann bringt dich morgen mein Fahrer ins Commune !« Seine Augen lachen verschwörerisch.
»Worum geht’s?«, frage ich mit einem Kribbeln im Bauch. Der Tag scheint besser zu verlaufen als gedacht.
Frederic meint, dass die Menschen und Organisationen in Europa oder Amerika wesentlich langsamer, bequemer und schwerfälliger denken und arbeiten als hier in China. Er schwärmt geradezu von der Flexibilität der Chinesen und der chinesischen Organisationsfähigkeit. Natürlich mische die Politik als unberechenbarer Faktor mit und verlangsame manchmal willkürlich Entwicklungen. Aber unterm Strich sei die Arbeitsweise hier enorm. »Das Einzige, was fehlt«, sagt er und schaut dazu betrübt, »ist Kreativität. Chinesische Kreativität basiert auf zwei Eckpfeilern: Industriespionage und dem Einkauf westlicher Experten. Die Karrierechancen für kreative Westler in China sind derzeit undenkbar groß.«
Ob er mich anwerben will?
»Ich habe ein multikulturelles Team für einen meiner Kunden zusammengestellt – Westler und Chinesen. Ziel ist es, die interkulturellen Unterschiede im Denken und Handeln kreativ zu nutzen. Ich will die Kreativität inhouse aufbauen und nicht extern einkaufen müssen. Ich denke, dass eine kontinuierliche Vermischung von chinesischer Flexibilität und Prozesskompetenz mit westlicher Kreativität sehr erfolgreich sein kann!«
»Klappt das schon?«, frage ich.
»Bisher nicht so gut!«, sagt Frederic und lacht. »Statt die chinesischen Mitarbeiter zu inspirieren, orientieren sich die europäischen Mitarbeiter mehr und mehr an den chinesischen Arbeitsgepflogenheiten.« Er denkt kurz nach, fixiert mich dann und sagt: »Komm doch bitte in zwei Stunden zu einem Meeting des Teams und berichte von deiner Reise. Von deiner Idee, dass der Bruch mit dem Gewohnten
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