Mutiert
Professor Sander in New York war hervorragend verlaufen. Der symphatische, großgewachsene Epidemiologe, der seinen Lehrstuhl an der Universität München gegen die grausigen Schauplätze der gefährlichsten Infektionen dieser Welt eingetauscht hatte, erinnerte sie sehr an ihren Vater. Er schien sehr kompetent und engagiert zu sein und war sich auch durchaus bewusst, welchen Gefahren er sich selbst und seine Mitarbeiter aussetzte. Dennoch hatte Luisa das Gefühl, dass diesen Mann nichts so leicht aus der Bahn warf. Überhaupt war sie sehr mit dem Team zufrieden, das die WHO zusammengestellt hatte. Antonio Pinto, den dunkelhaarigen und smarten Portugiesen, der als Mikrobiologe an der Universität in Basel arbeitete, kannte sie bereits von mehreren Tagungen und Fortbildungsveranstaltungen. Anne Arlette vom Institut Pasteur in Paris hatte ebenfalls schon unzählige Auslandseinsätze hinter sich und machte einen sehr erfahrenen Eindruck. Sie verstärkte als Immunbiologin das Team. Und Professor Joanna Kim leitete das Referenzlabor der CDC in Atlanta.
Bei der gestrigen Besprechung hatte Sander einen besorgten Eindruck gemacht, als er von den bisherigen Erkenntnissen berichtete. Es war nicht viel, was er über das Virus sagen konnte, jedoch hegte Doktor Perez, der als erster Facharzt eine Untersuchung vorgenommen hatte, den Verdacht, dass es sich um eine Art des Ebola-Virus handeln könnte. Eine besonders aggressive Form, die mit einer Letalitätsrate von beinahe einhundert Prozent den Infizierten keine Überlebenschance gab.
Als erste Maßnahme musste das Virus isoliert und bestimmt werden. Dazu gehörte es, die Genstruktur zu entschlüsseln, um mögliche antiretrovirale Medikamente zu entwickeln. Die rasche Entschlüsselung war umso dringender, weil die Behandlungen mit Ribavirin bisher erfolglos blieben. Luisa war zuversichtlich, dass ihr Team in der Lage sein würde, umgehend Erfolge zu erzielen.
Als ihr Jet auf der Landebahn des Internationalen Flughafens von Belém aufsetzte, konnte sie es kaum abwarten, bis das Flugzeug ausrollte. Eine Militärmaschine wartete bereits auf sie und ihre Begleiter, um sie nach Urucará direkt in das Amazonasgebiet zu bringen, wo ein gut ausgestattetes Level- 4 -Labor errichtet worden war. Eine Leihgabe der amerikanischen Regierung, die nach Professor Sanders Aussage ebenfalls mit Mitarbeitern des amerikanischen Zentrums für Seuchenkrankheit, kurz CDC genannt, vor Ort war. Luisa war gespannt darauf, was sie dort erwartete und wie die Zusammenarbeit mit den Kollegen vom CDC funktionieren würde.
22
Acampamento dos infectados nahe Urucará, Amazonasgebiet
Schwester Violante lag in einem Zelt auf einem Feldbett und starrte mit müden Augen an die Decke. Ihr Gesicht war kalkweiß, und um ihre Augen lag ein fiebriger Glanz. Sie fühlte sich matt und kraftlos, ihre Glieder schmerzten.
» Sie leidet unter Halsschmerzen und Schluckbeschwerden«, flüsterte der Cabo Lila zu.
Lila streifte sich ihre Handschuhe über und setzte sich auf Violantes Bett. Der behandelnde Militärarzt aus Manaus wollte sie daran hindern, doch Lila ließ sich nicht zurückhalten.
» Violante, wie fühlst du dich?«, fragte sie. Ihre Stimme klang dumpf durch den Mundschutz.
Die Erkrankte wandte ihr den Kopf zu und versuchte ein Lächeln. » Frau Doktor, es hat mich erwischt«, antwortete sie ermattet.
Lila schüttelte den Kopf. » Es ist vielleicht nur eine harmlose Grippe.«
» Nein, ich habe genügend Menschen hier sterben sehen, ich weiß, dass es diese verfluchte Virusinfektion ist«, entgegnete die Schwester. » Ich weiß nur nicht, wie es passieren konnte. Ich trug immer meine Handschuhe, und ich trug meine Schutzkleidung. Jeden Tag habe ich mindestens vier- bis fünfmal geduscht, aber trotzdem hat es mich erwischt.«
Lila erhob sich vom Bett und trat an die Seite des Militärarztes. » Was geben Sie ihr?«
» Acetaminophen und eine Kochsalzlösung«, antwortete der Kollege. » Wir erwarten eine neue Lieferung von Ribavirin sowie ein ähnliches, aber offenbar verbessertes Medikament, das sich noch in der Versuchsphase befindet und uns von den Amerikanern zur Verfügung gestellt wird. Nur nützt dies alles wenig, wenn wir nicht genau wissen, mit welchem Virustyp wir es zu tun haben.«
» Ich kenne Violante, sie arbeitet hier bereits seit über dreißig Jahren in verschiedenen Krankenhäusern und ist sehr erfahren, und wenn sie beteuert, dass sie sich vor der Infektion ausreichend geschützt hat,
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