Mutproben
ins Mark der CDU gingen. Bis dahin hatte es rechts von der CDU nur Nazis gegeben, die DVU und Co. Nun aber gab es eine rechte Partei, in der keine Nazis waren, und wir wussten, dass das für die CDU sehr gefährlich werden konnte. Zunächst hielten wir also hart dagegen und versuchten Schill als Rechtspopulisten zu klassifizieren. Doch schnell merkte ich, dass wir damit kaum Erfolg haben würden.
Die Medien schrieben zwar kritisch über Ronald Schill, aber ich spürte, dass sie ihn ausgerechnet dadurch erst nach oben spülten. In der Presse fand er mehr und mehr statt, und bald zog er auch überregionale Aufmerksamkeit auf sich. Die Medien portraitierten ihn, machten ihn bekannt. Plötzlich trat er im Fernsehen auf und war ein gefragter Interviewpartner. Auf Veranstaltungen hatte er Zulauf von teilweise Hunderten von Leuten. Für die CDU stellte er eine existentielle Gefahr dar. Sein Zuspruch würde bei der anstehenden Wahl
ganz klar zu unseren Lasten gehen. Ich wusste also, dass wir nur eine Möglichkeit hatten, dranzukommen; wir mussten auf Sieg setzen. Hamburg war seit über vierzig Jahren eine sozialdemokratische Stadt. Und die CDU, das war schnell klar, würde unter diesen Voraussetzungen keine Chance haben, stärkste Kraft zu werden. Da ich zum einen wusste, dass Schills demagogische Art viele Leute in meiner Partei geradezu anwiderte, und andererseits bemerkt hatte, dass aus strategischer Sicht weiteres »Salonfähigmachen« seiner Person zulasten der CDU führen würde, traf ich eine einsame Entscheidung.
Drei Monate vor der Wahl erklärte ich, dass ich bereit wäre, mit Schill zu koalieren, sollten wir dadurch die SPD ablösen können und den Bürgermeister stellen. »Du bist ja verrückt geworden, damit machst du diesen Rechtsradikalen stark und schwächst die CDU!« Die parteiinternen Reaktionen waren heftig. Doch ich blieb sachlich: »Lieber ein starker Schill und wir schwächer, dafür aber in der Regierung, als eine starke CDU, und es reicht am Ende doch wieder nicht.« Es war ein Vabanquespiel. Und reine Intuition. Relativ spontan hatte ich mich von unserer bisherigen Linie verabschiedet und den Kurs geändert. Ich war überzeugt, dass unsere Chance nur darin bestand, auf Sieg zu setzen und Schill mit ins Boot zu nehmen. Meine Partei musste es schlucken, sie hatte keine Option. Und ich musste es vor der Wahl machen. Denn hätte ich Schill bis zuletzt als gefährlichen Rechtspopulisten diffamiert, wäre aber nach der Wahl eine Koalition mit ihm eingegangen, dann wäre die Hölle ausgebrochen. Frau Ypsilanti hat es Jahre später
so gemacht, indem sie die Linken kritisiert und versprochen hatte, sie lasse sich von ihnen nicht wählen. Hinterher machte sie die Kehrtwende und scheiterte grandios. Ich wusste um die Gefahr und ging das Risiko dieser Einzelentscheidung ein. Setzte alles auf eine Karte. Und das hätte auch gründlich schief gehen können. Angenommen Rot-Grün hätte eine Mehrheit bekommen, weil die FDP nicht über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen wäre – man hätte in mir den einzigen Schuldigen ausgemacht, völlig zu Recht, denn ich hatte Schill ja mit stark gemacht. Politisch wäre ich am Ende gewesen.
Natürlich hatte auch ich meine Bedenken mit diesem Schwenk. Ich ahnte, dass das eine ziemliche Gratwanderung war. Schill hatte einen zweifelhaften Ruf und seine Partei polarisierte extrem. Vieles passte mir auch nicht, was dort gesagt wurde. Doch die harsche Kritik fand ich größtenteils ebenfalls unsinnig. Es gab innerhalb der Partei viele Glücksritter, Übergelaufene aus den Reihen der CDU. Sicherlich waren auch Populisten darunter, vielleicht auch einige Spießbürger – und bestimmt war so manch einer von denen auch rechts. Aber Nazis waren es sicher keine. Und es erschien mir die einzige Chance, jemals an die Regierung zu kommen. Ich wollte Bürgermeister werden, und ich wollte, dass die CDU in Hamburg endlich mal wieder mitmischt. Immerhin gehört es auch zu einer demokratischen Kultur, nach einer solch langen Vorherrschaft einen Wechsel hinzukriegen. Es war ein Spiel mit dem Feuer, für Schill, für mich. Aber ohne mit dem Feuer zu spielen, gewinnt man nun einmal sehr selten. Das Risiko war es mir wert.
Der Wahlabend selbst war eine einzige Tortur. Die Hochrechnungen gingen immer hin und her. Mal war die FDP drin, dann wieder nicht. Und nur mit der FDP würden wir auch den Bürgermeister stellen können. Ansonsten wäre als einzige Option nur die große Koalition geblieben.
Weitere Kostenlose Bücher