Mutproben
Natürlich wäre ich auch unter der SPD als kleiner Koalitionspartner in die Regierung gegangen, dann als Zweiter Bürgermeister, und das wäre ja auch schon ein Schritt nach vorne gewesen. Aber ich fand eine große Koalition immer freudlos. Und auch der Ärger in der SPD über meine bisherige »Schilloption« hätte das schwierig gemacht. Ich war mir sehr sicher, dass uns die SPD am langen Arm hätte verhungern lassen. Die SPD war in Hamburg gesetzt, der gesamte öffentliche Dienst und die öffentlichen Unternehmen bestanden zu achtzig Prozent aus Sozialdemokraten. Man wäre also immer der kleine Partner gewesen in der Rolle des Unerfahrenen gegen einen riesigen Apparat. Das war nichts für mich.
Das Witzige war: Es war mein zweiter Wahlabend als Spitzenkandidat und meine dritte Wahl, in der man mich gar nicht so recht auf dem Zettel hatte. 1993 kam die STATT-Partei ins Parlament und die CDU spielte keine Rolle. 1997 hatten sich alle auf den Rücktritt Henning Voscheraus konzentriert; auch da spielte ich also nur eine Nebenrolle. Und nun, 2001, waren alle Blicke auf Ronald Schill gerichtet. In der Wahrnehmung war ich nie der Erste, sondern bestenfalls der Zweite, doch das kränkte mich nicht. Ich war von jeher eher unterschätzt worden und daran gewöhnt. Unterm Strich aber war jedes dieser Ereignisse wieder ein neuer Baustein zum nächsten Erfolg.
Das Wahlzentrum befand sich im CCH, im Kongresszentrum in der Innenstadt, und die Stimmung war extrem geladen. Gegen 20 Uhr stand das Ergebnis fest. Wir hatten massiv Stimmen verloren und doch gewonnen. Wir wussten, wir konnten gemeinsam mit der Schill-Partei und der FDP eine Regierung bilden. Vierundvierzig Jahre SPD-Hochburg waren eingenommen, und ich war fest entschlossen, auch die Koalitionsverhandlungen zum Erfolg zu führen.
Regierungsbildung mit Schill
Es gab in den Verhandlungen selten Dinge, bei denen es tatsächlich ums Eingemachte ging. Es ging nie um das Ob, sondern immer nur um das Wie. Wie kann die FDP gesichtswahrend eine liberale Note wahren, während Schill auf der anderen Seite seine Positionen, die er auch im Wahlkampf angekündigt hatte, wenigstens zum Teil durchbringen konnte?
Von Schills Partei kannte ich einige wenige. Den späteren Bausenator Mario Mettbach, der zuvor bei der CDU in Wandsbek gewesen war. Norbert Frühauf, den ehemaligen Kreisvorsitzenden der Jungen Union, der unter Schill dann Fraktionsvorsitzender wurde. Und natürlich Schill selbst. Die FDP war mir da schon vertrauter. Seit vielen Jahren arbeitete man in der Opposition zusammen und wusste in etwa, wen man wie einzuschätzen hatte. Bei Schill waren die meisten Quereinsteiger und unbekannte Gesichter in der Hamburger
Politik. Trotzdem ging ich mit einem guten Gefühl in die Koalitionsverhandlungen. Denn in einer solchen Situation hat man nur zwei Möglichkeiten: Entweder man meint, die anderen wollen einen betrügen, und man versucht nun alles, um sich nach hinten und vorne abzusichern. Oder man hat ein Grundvertrauen, dass der Partner das gleiche Ziel hat wie man selbst, und hofft, dass man sich bei möglichen Unstimmigkeiten in den Gesprächen schon irgendwie zusammenraufen wird. Letzteres lag mir mehr, es entsprach eher meinem Naturell.
Wir brachten also die Koalitionsverhandlungen anständig über die Bühne. Die FDP hatte sich in ihren Positionen zu ihrer Zufriedenheit mit einbringen können und die CDU hatte tatsächlich ihren ersten Bürgermeister seit Jahrzehnten in der Hansestadt. Ronald Schill wurde mein Stellvertreter und konnte als Innensenator das Ressort belegen, das er auch inhaltlich angestrebt hatte.
Ich ging in dieser Zeit immer davon aus, dass man Schill und seine Leute schon in den Griff bekommen würde. Die CDU hatte 26 Prozent der Wählerstimmen erhalten, die FDP war bei 5,1 Prozent gelandet. Mit 19,4 Prozent stellte Schill zwar eine ordentliche Kraft dar, ich hoffte aber, dass man sie einigermaßen trimmen könnte. Denn auch Schill selbst war sich ja im Klaren darüber, dass dieser Erfolg eine Momentaufnahme war und schnell wieder vorbei sein konnte. Ich gebe zu, auch meine Freude über das Amt und die Wut der SPD, nach vierundvierzig Jahren aus dem Rathaus vertrieben zu
werden, befriedigten mich mehr, als dass ich mir Sorgen um Schill machte.
Amtsantritt im Rathaus
Zunächst wurde der Eid verlesen, dann gab ich die Beteuerungsformel ab: »Ich gelobe, dass ich ...« Danach brach ein Blitzlichtgewitter los, wie ich es zuvor noch nicht erlebt hatte.
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