Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole von Beust
Vom Netzwerk:
Seit vielen Jahren hatte ich auf diesen Moment hingearbeitet, als Abgeordneter, als Oppositionsführer. Ich hatte die Koalitionsverhandlungen mit gutem Ergebnis hinter mich gebracht, obwohl die Dreier-Konstellation alles andere als stabil war. Und nun stand ich also da, meine rechte Hand zum Schwur erhoben, und dachte: Verflucht noch mal, hoffentlich knicken dir nicht die Knie weg. In diesem Moment wurde mir erst wirklich bewusst, dass ich nun Bürgermeister der Hansestadt Hamburg war. Meine Beine waren weich wie Gummi und ich sah schon die Schlagzeile groß vor mir: Bürgermeister bricht beim Amtseid zusammen. Doch zum Glück überstand ich die Zeremonie ohne Zwischenfälle.

    Bei der Vereidigung waren mein Vater und auch meine beiden Brüder anwesend. Meine Mutter war leider schon einige Jahre zuvor gestorben. Wirklich genießen konnte ich den Tag nicht, es war ein Gefühl wie im Schleudergang. Am späten Nachmittag, als der ganze Rummel vorbei war, fuhr ich nach Hause, legte mich aufs Sofa und döste erst einmal ein wenig.
In solchen Momenten, wenn ich unter Druck bin oder auch wenn ich mich krank fühle, kann ich gut alleine sein. Abends rief dann aber doch noch eine Freundin an, wir schlürften bei mir noch ein Glas Sekt und sie lenkte mich etwas ab vom ganzen Trubel des Tages.
    Am nächsten Morgen stand ich um sieben Uhr auf und ging ins Büro. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das Bürgermeisterbüro nun als Amtsinhaber zu betreten. Ich setzte mich an meinen neuen Schreibtisch, vor mir ein bunter Strauß Blumen, und ich rief zunächst Maria Jepsen an, die damalige Bischöfin der Stadt. Zur Amtseinführung hatte sie mir einen Engel geschenkt, und es war meine innere Überzeugung, als erste Amtshandlung mit ihr zu sprechen. Vom Schreibtisch aus ließen sich gut die Menschen beobachten, die über den Rathausplatz eilten und sich in alle Richtungen verloren. Irgendwie witzig, dachte ich, als ich da nun saß, jetzt regierst du also! Als Kind hatte ich immer so ein Bild im Kopf von einem König, gewickelt in einen Purpurmantel mit Hermelin, Reichszepter in der Hand, Krone auf dem Kopf. Obwohl ich als Kind natürlich keine Vorstellung davon hatte, was das sein sollte, dieses Regieren, und was so ein König überhaupt macht, fand ich den Gedanken daran toll. Und nun saß ich also selber hier, amüsiert über die Situation, die mir noch ziemlich absurd vorkam, und fragte mich, was ich nun eigentlich machen soll. Als Fraktionsvorsitzender wusste ich: Es gibt eine Tagesordnung, es werden die und die Themen besprochen. Aber wie sah das in der Regierung aus, was kommt da eigentlich auf mich zu? Ich hatte keine Ahnung!
Aber Deutschland hat zum Glück einen gut funktionierenden Beamtenapparat, der einem das schnell beibringt. Auch ganz formale Dinge wie das Abzeichnen von Unterlagen. In alter Gewohnheit hatte ich irgendeinen Stift gegriffen und mein Kürzel drunter gesetzt. Aber der Bürgermeister und die Senatoren müssen mit grüner Farbe abzeichnen, Staatsräte mit Rot, und so weiter, damit schon an der Farbe und der Schrift erkannt werden kann, wer den Vorgang auf dem Tisch gehabt hat. Die Formalitäten lernte ich also schnell. An jenem ersten Tag jedoch bin ich relativ früh nach Hause gegangen.

    Ich freute mich natürlich, die Wahl gewonnen zu haben, aber die Statussymbole, die mit dem neuen Amt einhergingen, haben mich nie interessiert. Ich fand es spannend, etwas Neues zu machen, eine neue Aufgabe auszufüllen, mich in das Regieren zu stürzen. Ich hatte Lust an der Arbeit. Schill hatte möglicherweise andere Schwerpunkte. Er war stolz darauf, das zu sein, was er jetzt war – Innensenator und Zweiter Bürgermeister der Hansestadt. Ihm war der Status nicht unwichtig. Er fand den eigenen Dienstwagen mit Fahrer sicher toll, ebenso den glanzvollen Titel. Ab und zu sagte er zu mir sinngemäß: »Du musst ja wahnsinnig stolz sein, so lange in der Opposition, und nun hast du das Rathaus unter dir und dieses Dienstzimmer.« Ich merkte, wie ihn das alles sehr erfüllte, auch wenn er kein Hasardeur war.
    Allerdings war er wohl auch nicht der Fleißigste. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er erst gegen elf Uhr in sein Büro gekommen und gegen fünfzehn Uhr schon wieder verschwunden
wäre. Doch er hatte einen hervorragenden Staatsrat, der das Laufende erledigte. Insofern war es fast unschädlich, wenn er selbst nicht anwesend war. Und manchmal war es vielleicht auch besser so.
    Es gab viele sehr nette und anständige Leute

Weitere Kostenlose Bücher