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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole von Beust
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Büro. Ich will dich nie wieder hier sehen. Das war’s!« Schill zog wutentbrannt aus dem Zimmer, blaffte noch einmal: »Heute Abend: Primetime!«, und stürmte aus meinen Diensträumen. Meine Sekretärin stand völlig blass da. Sie hatte das Geschrei natürlich mitbekommen und war sichtlich irritiert.
    Zehn Minuten hatte der Spuk gedauert, nun war schnelles Handeln gefragt. Immerhin hatte er gedroht, seine absurden Unterstellungen unverzüglich an die Öffentlichkeit zu bringen.
Und ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er damit Ernst machen würde. Mir war intuitiv klar, dass ich noch vor ihm mit der Sache raus musste. Der, der zuerst draußen ist, der bringt den anderen in die Defensive und ist damit im Vorteil.
    Rausschmiss aus dem Zimmer reichte also nicht. Nach dieser Geschichte musste sofort die Entlassung als Senator folgen. Ich rief bei Roger Kusch an, schließlich war er eine der darin verwickelten Personen. Kusch zeigte sich entsetzt und sagte, das sei ja das Allerletzte. Ich solle natürlich tun, was ich für richtig halte. Danach sagte ich noch dem Fraktionsvorsitzenden der CDU Bescheid und auch Rudolf Lange von der FDP, der mich zunächst noch »abzukühlen« versuchte: »Überleg’ es dir noch mal! Muss das denn sein?« Aber als ich ihm den Vorfall detailliert schilderte, gab er mir Recht. Es musste sein, es führte kein Weg dran vorbei. Ich erkundigte mich also zunächst, wie man einen Senator überhaupt entlässt, wie das technisch vor sich geht. So etwas hatte ich ja bisher nicht machen müssen. Es musste dem Senator und dem Staatsrat eine Entlassungsurkunde übergeben werden. Anschließend »machte ich die Schotten dicht« und formulierte die Erklärung für die Pressekonferenz, die ich für den Mittag angesetzt hatte. Mir war bewusst, dass ich in diesem Moment hoch pokerte. Erstens gab es keine Zeugen für den Vorfall. Ich musste also darauf vertrauen, dass man mir glaubt, sollte Schill alles bestreiten. Insgeheim hoffte ich natürlich darauf, dass er alles zugeben würde, immerhin meinte er ja, die besseren Karten in der Hand zu halten. Zweitens konnte seine Entlassung das jähe Ende der Koalition und meiner Regierungszeit bedeuten.
Doch für mich war es eine Frage der zukünftigen eigenen Autorität. Und es war eine Frage der Ehre: Man darf sich niemals erpressen lassen.

    Als ich den Raum 151 zur Pressekonferenz im Rathaus betrat, saß Schill schon vor den versammelten Journalisten und wartete. Ich hatte vorher gehört, dass er da sein würde, aber das konnte und wollte ich auch nicht verhindern.
    Er sah »verboten« aus. Sein Gesicht war gerötet und auf der Oberlippe war ihm genau an diesem Tag eine Herpesbeule gewachsen. Die taz nannte es später das »Hitler-Herpes«, weil es genau in der Mitte saß und im Halbschatten gewisse Assoziationen hervorrufen konnte. So hockte er also da, die Arme auf dem Schoß verschränkt, eine schwarze Krawatte mit Schmetterlingen drauf, und schaute finster drein. Ich setzte mich vor die wartenden Journalisten, kramte meine Zettel hervor und verkündete, dass ich soeben Walter Wellinghausen als Staatsrat entlassen hatte. Schon da war das Geraune groß und alle Blicke gingen zu Schill. Ich fuhr dann damit fort, dass auch Schill von mir entlassen worden sei, weil er versucht habe, mich zu erpressen. Ich gab das Gespräch mit Schill wieder. Dann brach die Hölle los.
    Ich stand auf und verließ den Raum, ohne weitere Fragen zuzulassen. Meinerseits war alles gesagt, was sollte man da noch groß reden?
    Nachdem ich dann weggegangen war, setzte sich Schill auf meinen Platz und sagte, dass er nun seinerseits auch eine Erklärung abgeben werde. Dann erzählte er seine Geschichte
und – man kann es nicht anders sagen – redete sich um Kopf und Kragen. Er habe Zeugen, die eindeutige Geräusche aus meiner Wohnung am Hansaplatz gehört hätten. Und es folgten wirre Erläuterungen, in denen er mich im Liebesrausch darstellte. Letztlich gab er noch seine Erpressung unumwunden zu. Hätte sich Schill auf der Pressekonferenz als Opfer dargestellt und behauptet, dass das alles gar nicht stimme, dann wäre es schon komplizierter verlaufen. Hätte Schill steif und fest behauptet, ich sei durchgedreht und würde diesen angeblichen Vorfall nur als Vorwand nehmen, um die Koalition vorzeitig aufzukündigen – wer weiß, wer mir dann noch geglaubt hätte. Es wäre sicherlich brenzlig geworden. So aber waren die Leute völlig geschockt.
    Das Beeindruckende für mich war, zu

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