Mutproben
einfach davonstehlen.
Schon vor der letzten Wahl war mir klar, dass ich nicht noch ein weiteres Mal antreten wollte. Und ich wusste, dass genügend Zeit zwischen dem Wahltermin im Dezember 2011 und der Einführung eines neuen Kandidaten gewahrt sein müsse. Frau Hajduks Sorge und die Gerüchte um mein frühzeitiges Ausscheiden waren also nicht ganz unberechtigt. Möglicherweise merkte man mir das im Wahlkampf bereits an. Und vielleicht führte die eigene Kenntnis darüber, dass ich nicht noch einmal antreten würde, tatsächlich dazu, dass ich ausgepowerter wirkte und lustloser, wie einige meinten. Wenn man selbst weiß: Es trifft mich ja eh nicht mehr bei den nächsten Wahlen, ich muss nicht noch einmal durchs Feuer gehen, bei allem Verantwortungsgefühl für die Koalition und für die eigene Partei – dann strahlt man unbewusst wahrscheinlich eine gewisse Lustlosigkeit aus.
Und doch habe ich mich auch in den letzten beiden Jahren immer für die Koalition aufgerieben. Wir haben viele Dinge gemeinsam auf den Weg gebracht. Wir haben gut miteinander regiert. Es gab keinen offenen Koalitionsstreit. Das ist die Ausnahme, die meisten Koalitionen streiten sich. Wir hatten relativ komplizierte Probleme, für die wir aber immer schnell eine Lösung fanden und uns einigen konnten. Ich denke da an
die gemeinsame Wirtschaftspolitik, durch die wir mit großer Anstrengung die Reederei Hapag Lloyd in Hamburg halten konnten, die Nerven aufreibenden Gespräche zur Rettung der HSH Nordbank, personelle Entscheidungen wegen der Elbphilharmonie, Konjunkturprogramme etc. Das alles waren Themen, an deren Entstehung die Grünen exekutiv nicht beteiligt waren. Durch ihre Regierungsbeteiligung hatten sie aber die Verantwortung mit übernommen und wichtige Weichenstellungen mit erarbeitet. Darunter waren Entscheidungen, die sie in der Opposition vielleicht nicht unterstützt hätten. Natürlich gab es auch interne Konflikte zwischen der Wirtschaft auf der einen Seite und der Umweltbehörde auf der anderen. Doch all das haben wir immer diskret gelöst und nichts nach außen dringen lassen.
Häufiger höre ich, dass ich einen präsidialen Führungsstil gehabt hätte. Ich habe öffentlich selten Kritik an Regierungskollegen geäußert und mich zurückgehalten, wenn sich Konflikte anbahnten. Der Chef der Senatskanzlei, Volkmar Schön, dem ich uneingeschränkt vertraut habe, und ich selbst führten unzählige Telefonate und Besprechungen, um Konflikte intern zu schlichten und unsere Handschrift der Regierungsarbeit durchzusetzen. Diskretion hielt ich immer für wichtig, denn jedes Regierungsmitglied sollte sein Gesicht und seine Autorität wahren können. Das galt sowohl in der Zeit der absoluten Mehrheit als auch danach in der Koalition mit den Grünen. Überschriften wie »Bürgermeister pfeift seinen Senator zurück« vermitteln kurzfristig den Eindruck eines durchgreifenden Regierungschefs, langfristig aber führt
die Desavouierung von Kollegen zu einer Atmosphäre des Misstrauens und der mangelnden Motivation und ist somit schädlicher als ein kritischer Zeitungsartikel. Insofern habe ich meinen Führungsstil nie als präsidial empfunden, sondern vielmehr als integrativ, ohne dabei jedoch meine eigenen Ziele aus den Augen zu verlieren.
Zu einem aus meiner Sicht vernünftigen Führungsstil gehört zudem, dass man sich nicht einbildet, alles besser zu wissen und zu machen als die vielen Kollegen und Mitarbeiter in den Fachabteilungen. Auch als Regierungschef kann ich nicht der »Oberfachmann« sein. Wie auch? Es gibt Kollegen, die bis tief in die Nacht die Akten der Ressorts studieren, um sich anschließend sogar besser informiert zu zeigen als der zuständige Ressortchef, um dann daraus die eigene Autorität abzuleiten. Davon habe ich nie etwas gehalten. Erstens braucht jeder seinen Schlaf, schon allein um leistungsfähig zu sein. Nur ausgeruht kann man verantwortungsvolle Entscheidungen treffen. Zweitens ist man eben kein Fachpolitiker, sondern man hat eine übergeordnete Führungsverantwortung. Und drittens halte ich eine gute Personalauswahl verbunden mit möglichst großer Ressortfreiheit für besser als dauernde Eigenkontrolle. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass jeder mit Entlassungen rechnen muss, wenn auf Dauer etwas nicht funktioniert oder Zweifel an der Loyalität aufkommen.
Anders als in anderen Bundesländern waren die Hamburger Grünen keine Dagegen-Partei. Anders als etwa bei Stuttgart 21 oder beim Berliner
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