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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole von Beust
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Als wir dies durchsetzten und Leute, die im Vorjahr noch auf der Liste gestanden hatten, im darauffolgenden nicht mehr eingeladen waren, brach die Hölle los. Ehefrauen riefen in der Staatskanzlei an, der Mann habe die Einladung wohl verlegt oder der Brief sei in der Post untergegangen, ob man ihnen denn eine neue zukommen lassen könnte. Dabei waren sie überhaupt nicht mehr eingeladen. Meist wurde dann so getan, als wäre man gar nicht erpicht darauf, man wisse ja nicht mal, ob man an diesem Tag überhaupt Zeit fände, die Veranstaltung aufzusuchen. Aber es wäre doch freundlich – und deshalb auch nur der Anruf! –, wenn die Einladung noch einmal verschickt werden könnte, der Vollständigkeit halber.
    Ich fand das alles doch sehr skurril. Dieses Ereignis ist zwar nett, und beim ersten Mal ist es auch wirklich schön, dabei zu sein. Aber jährlich ist es dann doch immer irgendwie dasselbe. Trotzdem hatten die Leute den Drang, unbedingt
dabei sein zu müssen. Sobald sie eingeladen waren, fühlten sie sich der Hautevolee zugehörig und unsagbar wichtig. Der unmittelbare Nutzen ist dabei zwar gering, aber um sie herum sehen die anderen: Aha, der und der gehört also auch »dazu«. Eine elitäre Art zu denken.
    Ich erinnere mich noch an das Theater mit einem Vorstandsvorsitzenden eines sehr großen Unternehmens. Auch er war in dem Jahr eingeladen zum Matthiae-Mahl und wie alle anderen Gäste sollte er zu Fuß ins Rathaus kommen. Doch da begannen die Probleme. Sein Stab rief bei uns im Büro an und meinte, der Vorsitzende könne nicht zu Fuß kommen, er wolle mit seinem Chauffeur direkt vorfahren. Also erklärten wir der Assistentin, dass es ausgeschlossen sei, dass ein Gast vor das Rathaus fahre, das sei nur Staatsoberhäuptern gestattet und einmal im Jahr dem Konsularischen Korps der Stadt, als besondere Höflichkeit. Daraufhin erwiderte die Assistentin, es sei für ihren Chef aber selbstverständlich, vorfahren zu können, das würde so erwartet von den Gastgebern. Immerhin wäre es ja auch so, dass der Umsatz des Unternehmens weitaus größer sei als der Haushalt mancher Staaten.
    Wir haben uns darauf nicht eingelassen. Der Stab hat zwar geschäumt vor Wut, weil ihr Chef nicht vorfahren durfte, aber der Vorstandsvorsitzende ist wie alle anderen Gäste zu Fuß ins Rathaus gekommen. Geschadet hat es ihm sicher nicht. Aber dieses Beispiel hat mir gezeigt, wie sehr die Menschen sich selbst in ihrer Funktion überschätzen und überhöhen. Das ist schon erschütternd und nimmt leider immer mehr Überhand. Die Mächtigen oder diejenigen, die sich dafür halten,
kapseln sich in ihrem eigenen Universum ab und scheinen jegliches Gefühl für die Normalität zu missen. In dieser Welt verliert sich schnell jedes Maß.
    Die Verantwortung der Macht
    Ich habe oft die Demut vermisst bei Menschen in höher gestellten Positionen. Hier gilt das Recht des Stärkeren, ein darwinistisches Prinzip, das keine Schwächen duldet und auch kein Verständnis für andere Menschen aufbringt. Vielen Besserverdienern ist die Demut abhanden gekommen und das Bewusstsein, dass auch ihr eigener Weg zu einem großen Teil nur von Gnade, Zufall und Glück bestimmt ist.
    In einer Spitzenfunktion muss man aber mit beiden Füßen auf dem Boden zu stehen. Dafür muss zum Beispiel das eigene Umfeld sorgen. Dieser Vorstandsvorsitzende hatte sich ein solches Umfeld anscheinend nicht geschaffen. Ein Umfeld, das einem auch kritisch begegnet. Ein Korrektiv. Denn auch ich habe festgestellt, dass man sich ab einer bestimmten Position schnell wie in einem Raumschiff fühlt, das oberhalb der realen Welt umherdüst.
    Vor diesem Hintergrund ist es schon fast symbolisch, dass die Fenster im Büro im Hamburger Rathaus aus schusssicherem Panzerglas bestehen und die Tür zum Dienstzimmer dreifach gesichert ist. Alle Mitarbeiter sorgen dort für das Wohl des Bürgermeisters. Dieser hat eine Limousine mit eigenem Fahrer, die ihm rund um die Uhr zur Verfügung steht.
Die Mitarbeiter in dieser Festung sind ihm natürlich wohlgesonnen, denn deren Wohlergehen hängt stark von ihm ab. Aber gerade deswegen ist es wichtig, sich das richtige Umfeld zu schaffen.
    Ich habe immer darauf geachtet, auch kritische Geister um mich zu haben, Leute, die nicht korrumpierbar sind und mir meine Fehler vorhalten. Meine Protokollchefin war da gnadenlos. Wenn ich das Protokoll mal wieder nicht eingehalten hatte, rügte sie mich. Oder wenn ich Dinge machen sollte, auf die ich keine Lust hatte.

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