Mutproben
bewegen und Entscheidungen fällen, die viele Menschen betreffen würden. Das war verlockend, auch noch nach vielen Amtsjahren.
Doch ich fühlte mich mehr und mehr gefangen. Ich spürte, dass ich weder technisch noch formal, weder in meinen Reden noch in meinem Verhalten wirklich frei war. Von außen betrachtet war es vielleicht so. Aber verstärkt spürte ich den Druck, dass alles, was ich tat und nicht tat, öffentlich diskutiert und bewertet wurde. Und das zum Teil von Menschen, auf deren Urteil ich gern verzichtet hätte. Der Zuwachs an Macht bedeutete gleichzeitig den Verlust der Freiheit. Und diesen Verlust empfand ich auf Dauer belastender, als mir der Einfluss Befriedigung verschaffen konnte.
Regelmäßig fragen mich Leute, ob mir der Machtverlust nicht zugesetzt habe nach meinem Rücktritt. Ich kann nur sagen, dass ich die Macht überhaupt nicht vermisse. Sicherlich gibt es Dinge, die ich in der Stadt sehe, die mich ärgern und die ich früher mit einem Anruf bei der zuständigen Stelle
schnell abstellen konnte. Wenn etwa eine Baustelle an einer Kreuzung sich schon seit Monaten hinzog und ich Druck ausübte, damit nun endlich die Ampel eingebaut wurde und die Arbeiten zügiger voran gingen, dann wurde das gemacht. Das war reizvoll, und manchmal juckt es mich noch heute in den Fingern, dort anzurufen. Doch unterm Strich habe ich das Loslassen der Macht als einen großen Gewinn an Freiheit empfunden.
Die Faszination der Macht
Macht ist für viele Menschen etwas sehr Verlockendes. Und wenn sie selbst keine Macht haben, halten sie sich häufig doch gern im Dunstkreis derjenigen auf, von denen sie meinen, dass sie mächtig seien. Nicht unbedingt, weil sie konkret vom vermeintlich Mächtigen etwas wollen, sondern oftmals lediglich, um von dessen gesellschaftlichem Glanz etwas abzubekommen. In der Werbung nennt man diesen Vorgang Imagetransfer.
Bevor ich ins Amt kam, gab es viele Leute aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Sektor, die mich kaum beachteten. Solange ich der Opposition angehörte, war ich schlichtweg uninteressant für sie. Doch kaum hatte ich das Amt des Bürgermeisters inne, da umschwärmten dieselben Leute mich mit den plattesten Komplimenten: »Mein Lieber, wir haben schon immer gewusst, dass Sie so großartige Reden halten können!«, oder: »Wenn wir Sie nicht hätten, meine Frau und
ich, wir lieben Sie sosehr!« Ich gebe zu: Am Anfang war das ganz nett für mich. Es schmeichelt ja jedem, wenn er Zuspruch bekommt. Aber solche Komplimente nutzen sich mit der Zeit auch erheblich ab. Einige dieser Leute vollführen nun dasselbe Schmierentheater bei Olaf Scholz, und vermutlich haben Sie es auch schon bei meinem Vorgänger Henning Voscherau getan.
Ich wundere mich, dass zum Teil Leute mit Ansehen es nötig haben, sich so zu verhalten. Und am merkwürdigsten finde ich diejenigen, die mir als Bürgermeister noch den Boden gewischt haben, mich aber heute kaum noch grüßen. Es gibt natürlich auch andere, die genauso abweisend oder freundlich sind wie schon in meiner Zeit als Erster Bürgermeister. Aber es ist doch signifikant, wie sich das Verhalten der Menschen ändert gegenüber jemandem, von dem sie meinen, er hätte Einfluss – oder eben nicht mehr.
Mich kränkt dieses Verhalten nicht. Aber es erstaunt mich. Gerade bei Leuten, die eine freundschaftliche Nähe vorgaben und die heute nicht mal mehr auf meine Mails reagieren. Nicht, dass ich irgendetwas Wichtiges von denen wollen würde. Da geht es um ganz Banales, um ein gemeinsames Kaffeetrinken in der Innenstadt, um den Kontakt von früher nicht einschlafen zu lassen, weil ich eine gewisse Sympathie für diese Menschen übrig hatte. Aber es kommt keine Antwort zurück.
Es ist ein psychologisches Phänomen. Übrigens eines, das unsere gesamte Gesellschaft kennzeichnet. Heute dreht sich
Vieles um Status, viele bemessen Werte nur noch in materiellen Einheiten. Und die Eitelkeit und Sehnsucht, irgendwie dabei sein zu wollen, ist schon ziemlich präsent.
In Hamburg haben wir einmal im Jahr ein großes gesetztes Essen im Rathaus, das Matthiae-Mahl. Angeblich ist es sogar das älteste heute noch begangene Festmahl der Welt. Wir haben zu meiner Zeit eingeführt, dass nicht immer dieselben Leute eingeladen werden, sondern dass die Gästeliste von Jahr zu Jahr neu erstellt wird. Die Gäste sollten künftig ihren Funktionen nach ausgewählt werden, nicht wegen ihres Namens. Ein rollierendes System also, das keinen aus Gewohnheit nur bevorzugt.
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