Mutproben
Dann gab sie mir einen Schubser, sodass ich es doch erledigte. Ebenso war mein Chef der Staatskanzlei einer, der mich regelmäßig auf den Topf setzte, und auch mein Pressechef ging des Öfteren kritisch mit mir ins Gericht.
In einem Stadtstaat wie Hamburg ist dieses Raumschiff noch überschaubar und klein und man kommt hin und wieder mal raus. In Berlin, Paris oder Washington ist es schon anders. Dort ist das Raumschiff viel größer. Ein Großteil des Lebens spielt sich in dieser Kapsel ab. Man arbeitet im Kanzleramt und geht zu einem Gespräch rüber in eines der großen Ministerien, anschließend isst man zu Mittag im Borchardt und am Abend gibt es irgendwelche Empfänge. Ohne das tägliche Leben noch mitzukriegen, bewegt man sich von einem abgeschotteten Bereich in den nächsten.
Letztlich ist es eine artifizielle Welt, in der man sich da bewegt. Auch in Hamburg. Es ist ein gesicherter Bereich, den man durchaus gern nutzt, vor allem in turbulenten Zeiten. Es ist wie ein Kokon, und wenn man diesen Kokon verlässt, kann es ungemütlich werden. Nicht immer, aber wenn die Zeiten
schwierig stehen, ist man draußen schon mal unter Dauerbeschuss, und dann freut man sich darüber, dass man dieses Rückzugsgebiet hat mit seinen wohlgesonnenen Mitarbeitern.
Der Preis der Macht
Politik ist auch ein schauspielerischer Kraftakt. Heute denken die Menschen, dass ich weniger Termine als früher habe, nur weil ich nicht mehr öffentlich auftrete. Ich arbeite als Anwalt und Berater für verschiedene Unternehmen und habe noch immer einen vollen Terminkalender. Aber das alles findet eben nicht mehr auf offener Bühne statt. Als Politiker war jeder Schritt ein kleiner Bühnenauftritt. Überall waren Kameras, und hinterher redeten die Leute: »Wie war er denn?« Es ist immer wie ein kleines Schauspielstück, in dem man sich beweisen muss. Ich war abends manchmal völlig ausgelaugt, es war bis ins Physische anstrengend für mich und psychisch teilweise extrem belastend.
In dieser Atmosphäre wird man zwangsläufig zur Kunstfigur. Wenn ich in den Supermarkt ging, um Waschmittel zu kaufen, fragten mich die Leute: »Wozu brauchen Sie denn das?« Oder wenn ich mit der Bahn irgendwo hinfuhr, dann unterstellte man mir gleich: Nun macht er auf volkstümlich. Und wenn ich mir bei Peek & Cloppenburg einen Anzug kaufte, meinten die Menschen, dass ich Volksnähe demonstrieren wollte. Dass auch ich ganz normale Bedürfnisse habe, verstand kaum jemand.
Das war auch der Grund, warum ich gerne am Wochenende nach Sylt fuhr. Nicht etwa, um mich dort mit Millionärsfreunden auf der Whisky-Meile zu treffen. Das war nie meine Welt. Zum einen mochte ich Sylt schon immer, da ich als Kind dort meine Ferien verbracht habe. Aber vor allem war es ein Rückzugsgebiet für mich, wo ich einfach nur ich sein konnte. Oft fuhr ich bis nach Elmshorn, wo ich in den Zug nach Westerland stieg. Denn wäre ich schon in Altona eingestiegen, dann hätte es wieder geheißen: »Nun macht er sich sein Luxuswochenende auf Sylt.« Wenn ich erst in Elmshorn dazu stieß, krähte hingegen kein Hahn danach – ich konnte mir meine Dose Bier mitnehmen und gemütlich auf die Insel fahren.
Dieses Leben als öffentliche Person vermisse ich heute nicht. Anfangs war es noch so, dass ich mal dachte, Mensch, zu diesem und jenem Thema sollte ich mich jetzt doch vielleicht äußern. Gelegentlich brannte es mir unter den Nägeln, aus reiner Gewohnheit. Aber ich konnte mich dann selbst bremsen, denn ich fand es schon immer unerträglich, dass jemand, der nun nicht mehr am Ruder steht, sich trotzdem mahnend zu allem äußern muss. Wenn man selbst zurückgetreten ist, hatte das seinen Grund, sonst wäre man diesen Schritt nicht gegangen. Wurde man abgewählt, dann aus dem Grund, dass die Menschen eben nicht mehr wollten, dass man sich äußert. Alles hat seine Zeit, und wenn diese aufhört, dann muss man eben auch aufhören.
Gänzlich zurückziehen kann man sich jedoch nicht, wenn man einmal so viel Interesse auf sich gezogen hat. Die Menschen
wollen wissen, was mit der Person passiert, die sie jahrelang in den Medien und als Bürgermeister begleitet hat. Diesen Punkt hatte ich unterschätzt, als ich mit meinem Lebensgefährten kurz nach meinem Ausscheiden die Eröffnung einer Boutique besuchte. Eigentlich nichts Spektakuläres, aber der öffentliche Wirbel war groß. Es wurde berichtet, analysiert und kommentiert – und letztlich unter dem Deckmantel moralischer Betrachtung doch
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