Mutproben
beispielsweise haben wir eine persische Gemeinschaft, eine der größten Europas. Das liegt am Hafen und daran, dass hier das Zentrum des Teppichhandels und der Gewürze beheimatet war. Viele Betriebe haben hier ihre Niederlassung. Als in ihren Heimatländern politische Verwerfungen aufkamen, hatten viele Perser Beziehungen nach
Hamburg. Sie sind hierher gekommen und haben sich eine Existenz aufgebaut. Doch obwohl diese Menschen überwiegend muslimischen Glaubens sind, spielen sie in der Regel keine Rolle, wenn es um das Thema Integration geht. Warum ist das so? Weil diese bei uns lebenden Iraner, Iraker und Afghanen vorwiegend der Oberschicht entstammen und Akademiker sind. Viele von ihnen haben Medizin studiert, sind Ingenieure, Lehrer oder Physiker. Überwiegend sind es politisch Verfolgte, die hier nun als Taxifahrer arbeiten oder in anderen Berufen tätig sind. Und es sind Menschen, die sich schnell integriert und die deutsche Sprache erlernt haben. Als Community sind sie nur minimal organisiert und leben kaum ghettoisiert.
Man darf diese Menschen nicht pauschal in eine Kategorie packen, nur weil sie Muslime sind mit akademischer Ausbildung. Doch allein das zeigt doch, dass der Begriff des Migranten oder der Menschen mit Migrationshintergrund irreführend ist. Durch Sarrazin hat er eine zusätzliche negative Konnotation erhalten. Laut Statistik haben etwa zwanzig Prozent der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund. Unter diesen Begriff fallen Ausländer mit eigener Migrationserfahrung und Ausländer ohne Migrationserfahrung, Deutsche mit eigener Migrationserfahrung und Deutsche ohne eigene Migrationserfahrung. Unter dieses Label fallen also Kim, der politische Flüchtling aus Nordkorea, und Ali, dessen Eltern vor vierzig Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland eingewandert sind, gleichermaßen wie die in Hamburg geborene Emma, die einen
deutschen Vater und eine dänische Mutter hat. Diese Bezeichnung ist also sehr weit gesteckt, ein juristischer Begriff, der eingeführt wurde, um das politisch unkorrekte Wort des Ausländers zu vermeiden.
In Wahrheit ist es jedoch weit mehr als nur ein Begriff: Hier wird etwas kaschiert, das sich bis heute keiner wirklich auszusprechen traut. Denn weder hat man die Gastarbeiter aus Italien im Blick noch die aus Griechenland oder Portugal, wenn man von einem Migrantenproblem spricht. Dies sind zumeist Leute, die bestens integriert sind und zum festen Bestandteil unseres täglichen Lebens gehören. Wie selbstverständlich gehen wir abends zum Italiener oder frühstücken beim Portugiesen. Ob diese Menschen nun integriert sind oder nicht, darüber denken wir gar nicht nach. Sie sind es ohne Wenn und Aber. Wenn wir von einem Integrationsproblem bei Migranten reden, dann denken wir, wenn wir ehrlich sind, nicht einmal an ein Integrationsproblem bei den Muslimen, denn auch das wäre viel zu weit gegriffen. Es geht schlicht und ergreifend um ein »Türkenproblem«. Und wer das leugnet, der lügt sich in die eigene Tasche.
Die Türken leben aufgrund ihrer mangelnden Sprachkenntnisse häufig sehr zusammengezogen und abgeschottet vom übrigen Teil der Gesellschaft. Ursprünglich waren es die Gastarbeiter, die millionenfach hierher kamen und die später ihre Angehörigen und Freunde nachholten. Sie lebten dort, wo die Mieten am billigsten waren und wo sie andere Landsleute antrafen. So haben sich nach und nach regelrechte Ghettos gebildet,
in denen Menschen zusammenwohnen, die aufgrund ihrer mangelnden Sprachkenntnisse und der meist geringen Bildung vom restlichen Teil der Gesellschaft abgeschottet sind. Diese Strukturen wurden vielfach von der zweiten und dritten Generation fortgeführt und haben sich weitestgehend verfestigt. Die Chancen, aus diesem Quasi-Teufelskreis aus eigener Kraft ausbrechen zu können, sind gering. Das ist eine Realität, die von allen politischen Lagern über viele Jahre schlicht verdrängt worden ist. Während die Konservativen darauf beharrten, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, haben die Linken mit ihrer fehlgeleiteten »Multikultipolitik« die Probleme, die sich daraus ergaben, nicht wahrhaben wollen. So ist viel zu viel Zeit verstrichen. Auch ich selbst muss mir in diesem Punkt Versäumnisse eingestehen. Bevor ich Fraktionsvorsitzender wurde, hat mich diese Thematik kaum berührt. Ich wohnte in einer bürgerlichen Gegend, in der kaum ein Türke lebte. An der Universität gab es fast nur deutsche
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