Mutter bei die Fische
Vorwürfe gemacht. Dass ich euch alleinlasse.«
Verständlich, dachte Falk bei sich, sprach es aber nicht aus. Stattdessen fragte er: »Habt ihr euch später wieder versöhnt?«
Harms nahm ein Mettbrot und biss herzhaft hinein. Er kaute und schüttelte dabei den Kopf.
Falk musterte seinen Vater. Er wurde nicht schlau aus Harms. Er schien in einem Moment empfindlich, fast weinerlich auf Versöhnung aus. In der nächsten Sekunde war er aber wieder so gleichgültig und abgebrüht, wie Falk ihn von jeher kannte.
»Und trotzdem hättest du von deinem Bruder geerbt«, konstatierte Falk. Er wollte Harms provozieren, aus der Reserve locken.
Aber der grinste nur. »Ich habâs ja nicht angenommen. Zu deinen Gunsten, wenn du dich erinnerst.«
»Stimmt«, musste Falk eingestehen. »Und ich bin dir heute noch dankbar. Nach Sten natürlich. Sonst wüsste ich echt nicht, wohin mit mir.«
Harms musterte ihn und nickte. »Hast du nicht irgendetwas studiert? Etwas ganz und gar Nutzloses?«
Da war er wieder. Sein Vater, wie Falk ihn kannte. Aber heute prallten die Sticheleien und abwertenden Bemerkungen an Falk ab. Er musste Harms nichts mehr beweisen.
»Mehr oder weniger nutzlos. So nutzlos wie Schriftstellerei auf alle Fälle. Soziologie.« Aber er würde Harms verschweigen, dass er von der Uni geflogen war. Diese Genugtuung wollte er seinem Vater auf keinen Fall gönnen.
Ein kleines süffisantes Lächeln huschte über Harmsâ Gesicht, während er sich das zweite belegte Brot schmecken lieÃ. »Soso. Und was machst du jetzt damit?« Harms blickte sich in der kleinen Stube um, als sei hier die Antwort auf seine Frage zu finden.
»Ich vermiete Strandkörbe«, sagte Falk selbstbewusst. Merkwürdig, normalerweise druckste er immer herum, wenn er über seinen Beruf Auskunft geben musste. Er hängte dann ein »Vorübergehend« an und behauptete, dass er sich in einer Orientierungsphase befände. Aber seinem Vater gegenüber, der Falk niemals den Respekt zollen würde, den ein Sohn verdient hätte, war er plötzlich trotzig. Selbst wenn er Diplom-Physiker oder Professor der Theologie wäre, hätte Harms noch eine niederschmetternde Bemerkung auf Lager gehabt. Da konnte er auch gleich zu dem stehen, womit er tatsächlich seinen Tag verbrachte.
»Du trittst also in die FuÃstapfen deines Onkels.« Harms musterte Falk neugierig â und zu Falks Ãberraschung nicht einmal geringschätzig.
»Nun, ich glaube, Onkel Sten war zeitlebens ein recht glücklicher Mann. Oder nicht?«
Harms öffnete eine zweite Dose Bier mit einem lauten Zischen und schob sie zu Falk hinüber.
Falk dachte an seinen geliebten Onkel. Ja, Sten war ein glücklicher Mann gewesen. Und seit einem Dreivierteljahr, seit er in Stens Kate wohnte und Stens Job übernommen hatte, merkte auch Falk, dass er sich anschickte, ein glücklicher Mann zu werden. Oder zumindest ein ausgeglichener. Wenn es da nur keine Filmproduktionen, missglückten Heiratsanträge oder aus dem Nichts auftauchenden Väter geben würde. Falk glaubte auch zu wissen, was das Geheimnis hinter Stens Glück gewesen war. Demut und Bescheidenheit. Aber das würde er niemals laut sagen. Er hörte im Geiste schon die Einwände: Aber es muss doch noch mehr im Leben geben! Du bist doch noch so jung, du musst etwas erleben! Dir liegt noch die ganze Welt zu FüÃen! Da war natürlich etwas Wahres dran. Denn sein Onkel Sten hatte sich nicht etwa, so wie Falk, in jungen Jahren zur Ruhe gesetzt, er war als Kapitän auf den Weltmeeren unterwegs gewesen, hatte viele ferne Länder gesehen und an manchen Tagen mehr erlebt als so mancher Bürohengst in seinem ganzen Leben. Erst dann hatte er beschlossen, dass er seinen Lebensabend auf Heisterhoog verbringen wollte.
Harms stand jetzt auf, streckte die langen Glieder und sah sich schlieÃlich genauer in der Kate um. Er begutachtete die Pfeifensammlung seines Bruders, die Buddelschiffe und eine kunstvoll geschnitzte Kugel aus Elfenbein, die Sten von einer seiner Reisen mitgebracht hatte. »Du hast hier nichts verändert«, bemerkte er. »Willst du etwa hierbleiben und Wurzeln schlagen?«
Falk zuckte mit den Schultern. Die ewige Frage. Die Frage, die sie ihm alle stellten. Vor allem Gina. Die Frage, auf die er keine Antwort wusste. »Weià ich noch nicht. Im Moment schon.«
Harms
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