Mutter der Monster
halbe Stunde.
»Um genau zu sein?«, wiederholte sie.
»Nun, logisch gesehen«, sagte Giles, »tritt dieser Widerspruch nur auf, wenn wir versuchen, unseren eigenen Maßstab von Gut und Böse an Nemesis anzulegen. Aber wenn wir auf diesen Maßstab verzichten...«
»Oder den Maßstab der Mächte der Finsternis anlegen...«, warf Willow ein.
»Exakt«, nickte Giles. »Unter diesem Aspekt gibt es keinen Widerspruch. So betrachtet ist es die Jägerin, die eine böse Tat begangen hat, und zwar an einer Angehörigen der Mächte der Finsternis. Wir mögen mit dieser Sichtweise nicht einverstanden sein, aber sie hat ihre eigene Logik.«
»Ob er jemals etwas auf Englisch erklären wird?«, beklagte sich Xander.
»Ich bin Engländer«, antwortete Giles knapp.
»Aber sie hat sich selbst als ausgleichende Macht bezeichnet«, wandte Willow ein. »Sollte das unserer Seite nicht helfen?«
Giles setzte seine Brille wieder auf. »Es sollte, aber ich bin mir keineswegs sicher, dass es das auch wird«, erwiderte er.
»Um genau zu sein, ich glaube, wir können davon ausgehen, dass Buffy bereits den entscheidenden Punkt angesprochen hat.
Nemesis wurde von der Vampirmutter heraufbeschworen. Was auch immer Nemesis’ ursprüngliche Aufgabe gewesen sein mag, sie ist jetzt eine Agentin der Mächte der Finsternis. Wir sollten deshalb damit rechnen, dass die von ihr vorbereitete Prüfung nicht fair und überaus unerfreulich sein wird.«
»Großartig«, murmelte die Jägerin.
»Nun, dann müssen wir eben für Fairness sorgen«, sagte Willow hitzig. Sie stand von ihrem Stuhl auf und trat zu Buffy.
»Wir lassen dich nicht allein gehen. Wir haben dich noch nie 90
im Stich gelassen. Und jetzt ist keine gute Zeit, damit anzufangen. Kein guter Tag, um Neues zu beginnen. Das habe ich in meinem Horoskop gelesen.«
Buffy legte ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter. »Ich muss allein gehen, Will«, sagte sie sanft. »Dieses viergesichtige Wesen hat meine Mom entführt. Ich werde alles tun, um sie zurückzuholen. Das bedeutet, dass ich mich an ihre Regeln halten muss: allein und unbewaffnet. Das ist schließlich nicht das erste Mal.«
»Aber...«, sagte Willow.
»Kein Aber«, wehrte die Jägerin ab. »Das ist mein Kampf, Will. Meiner ganz allein. Wenn du mir wirklich helfen willst, dann bleib hier, wo du sicher bist.«
Und mir nicht im Wege stehst.
»Nun, okay«, gab Willow schließlich nach. »Aber es gefällt mir nicht.«
»Wir werden unsere Nachforschungen fortsetzen«, versprach Giles. »Vielleicht finden wir noch mehr heraus.«
»Gut«, nickte Buffy. Gespannte Stille senkte sich über die Bibliothek. Niemand fragte, wie sie sie informieren sollten, wenn sie etwas herausfanden.
»Und konzentriere dich«, fügte Giles hinzu, bevor Buffy die Tür erreichte. »Lass dich nicht von irgendwelchen Tricks ablenken, die Nemesis womöglich anwendet. Geh zu der Prüfung. Hol deine Mutter und verschwinde mit ihr.«
»Schon kapiert«, sagte Buffy.
»Und setze deinen Verstand ein.«
»Genau das hatte ich auch vor.« Schließlich ist mein Verstand so ziemlich die einzige Waffe, die mir zur Verfügung steht, fügte die Jägerin im Stillen hinzu.
»Und...«
»Giles«, sagte Buffy, als sie die Bibliothekstür aufzog.
»Ja?«
»Ich gehe.«
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»Nun ja – viel Glück«, sagte er.
»Danke«, erwiderte Buffy. Sie ließ die Tür los und hörte, wie sie hinter ihr zufiel. Ihre Freunde, ihren Wächter aussperrte.
Ich bin auf mich allein gestellt, dachte Buffy. Nicht einmal Angel, der oftmals Wege beschreiten konnte, die den anderen versperrt waren, konnte ihr helfen.
Sie war alles, was zwischen ihrer Mutter und einem ungewissen Schicksal stand.
Steh nicht bloß herum, beweg dich endlich, sagte sie sich.
Von jetzt an, mehr denn je, zählte jede Sekunde.
Zehn Minuten später war Buffy zu Hause und bewegte sich mit der Zielsicherheit einer Lenkrakete durch die Räume. Sie durchwühlte Kleiderschränke, stöberte in Schubladen. Keine Waffen, hatte Nemesis gesagt.
Aber das ist nicht dasselbe wie mit leeren Händen zu gehen, nicht wahr?
Das Problem war, dass Nemesis die Regeln aufstellte, was es Buffy fast unmöglich machte, mit Sicherheit sagen zu können, was als Waffe galt und was nicht. Sie wollte sich aber auch nicht mit einem Haufen unnützer Dinge belasten, ohne zu wissen, gegen was sie während der bevorstehenden Prüfung kämpfen musste.
Verzweifelt schlug sie die Tür des Medizinschränkchens im Badezimmer zu. Was hatte sie
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