Mutter der Monster
überhaupt dort gesucht? Glaubte sie im Ernst, sie konnte ihre Mutter retten, indem sie ihre Zahnbürste zückte?
Die Borsten standen zwar in alle Richtungen ab, weil sie sich die Zähne so kräftig zu putzen pflegte, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich die Mächte der Finsternis davon einschüchtern ließen.
Sie öffnete eine Schublade, nahm ein Zopfband heraus als Ersatz für jenes, das sie in der Bibliothek vergessen hatte, 92
strich ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zurück und befestigte ihn mit dem Band.
Stromlinienform kann nur von Nutzen sein, dachte sie, als sie in ihr Zimmer zurückkehrte, um sich umzuziehen. Je weniger Angriffsfläche sie dem Feind bot, desto besser.
Sie lächelte grimmig, als sie erkannte, dass sie sich denselben Rat gab, den sie Suz Tompkins im Einkaufszentrum erteilt hatte. Man durfte dem Gegner keine Gelegenheit geben, sich irgendwo festzukrallen.
Eilig schlüpfte Buffy in eine hautenge schwarze Hose, zog ein T-Shirt an und stieg in ihre robustesten Stiefel. Die Stiefel gaben ihr ein etwas besseres Gefühl. Wenn sie den Mächten der Finsternis in den Hintern treten musste, dann so kräftig wie möglich.
Ihre Mutter mochte es nicht, wenn sie schwarze Sachen anzog. Aber Buffy nahm an, dass dies eine Gelegenheit war, bei der selbst ihre Mom zugeben musste, dass es keine Rolle spielte, was Buffy trug.
Sie fröstelte plötzlich. Die Wahrheit war, dass sich Buffy ohne den Inhalt ihrer Jägertasche ein wenig nackt vorkam. Aus einem Impuls heraus trat sie wieder an den Schrank, nahm die Lederjacke heraus, die Angel ihr vor einer Ewigkeit geschenkt hatte, und streifte sie über. Die Tatsache, dass sie Taschen hatte, war irgendwie beruhigend.
Natürlich hatte sie nichts, was sie hineinstecken konnte.
Sie warf einen Blick auf die Leuchtziffern der Digitaluhr auf der Kommode. Dann eilte sie zur Haustür und versuchte, das wummernde, an eine überdrehte Bassfrequenz erinnernde Hämmern ihres Herzens zu ignorieren.
Sie kam nur bis ins Wohnzimmer. Abrupt blieb sie stehen.
Dort, auf der Couch, im Lichtkreis einer Tischlampe, lag das Fotoalbum. Genau wie Joyce es zurückgelassen hatte, als wäre sie, aus freiem Willen, nur kurz nach draußen gegangen und würde jeden Moment zurückkommen.
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Buffy spürte, wie ihr rasender Herzschlag stockte, wie ihr Atem aussetzte.
Ihre Mutter war nicht aus freiem Willen fortgegangen. Sie war von den Mächten der Finsternis entführt worden. Entführt aus ihrem Haus, weil Buffy etwas getan hatte. Etwas, das sie tun musste. Weil sie die Jägerin war. Weil sie die Auserwählte war.
Wegen Buffy war ihre Mutter in Gefahr. Es war nicht das erste Mal und möglicherweise auch nicht das letzte. Bei diesem Gedanken fühlte sich Buffy nicht unbedingt besser.
Sie wusste, dass die Zeit knapp war, der Countdown bis zum Beginn der Prüfung lief unerbittlich. Aber dennoch trugen ihre Füße sie zur Couch, saugten sich ihre Augen an dem Album fest, das ihre Mutter zusammenstellte, um ihr eine Freude zu machen. Das Album, das Buffys Entwicklung von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter dokumentieren sollte.
Buffy betrachtete die aufgeschlagene Seite, jene Seite, an der ihre Mutter gearbeitet hatte, als sie so brutal unterbrochen worden war. Zahlreiche Fotos waren bereits eingeklebt. Ein weiteres lag da, als wartete es nur darauf, hinzugefügt zu werden. Buffy bückte sich und hob es auf.
Das Bild zeigte sie im Alter von zehn Jahren. Die kleine Buffy war selbstbewusst, voller Leben und grinste in die Kamera.
Ich erinnere mich an diesen Tag, dachte Buffy. Die ganze Familie war in einen Park gegangen, und sie hatte sich auf eine Schaukel gesetzt und von ihrem Dad anstoßen lassen, höher und höher, bis das kleine Mädchen, das sie gewesen war, aufgeschrien hatte. Und zwar so, wie es nur Kinder konnten: in einer Mischung aus Angst und Lachen.
Dass sie so hoch und immer höher in den Himmel geflogen war, hatte sie gleichzeitig erschreckt und begeistert. Denn tief in ihrem Herzen hatte Buffy keine Angst gehabt. Sie hatte gewusst, dass ihre Eltern bei ihr waren, direkt an ihrer Seite.
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Mit der Sicherheit eines Kindes hatte sie gewusst, was das bedeutete: dass nichts Schlimmes passieren, dass ihr nichts zustoßen konnte.
Buffy legte die Aufnahme zu den anderen, die bereits in dem Album klebten. Erinnerungen wurden wach. Dort war sie mit ihrer Kusine Celia, die viel zu jung gestorben war. Und da war Buffy an ihrem achten Geburtstag, als ihr Vater sie
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