Mutter des Monats
Rachel. Du weißt genau, dass ich damit nicht sagen wollte …«
Ja, ja. Sie putzte die Spüle. Dass ihre Mutter es nicht so gemeint hatte, wusste sie genau. Aber was sie eigentlich sagen wollte, war Rachel leider auch nicht klar. Diese Schwätzchen verliefen immer gleich: Ihre Mutter lockte sie auf diese verwinkelten Gesprächspfade, die scheinbar ins Leere führten, bis Rachel sich völlig verirrt hatte, nur noch blind herumstolperte und dann, zack!, kam das wahre Anliegen ihrer Mutter heraus. Das, worauf sie in Wirklichkeit abzielte, schoss aus einem dunklen Flur und traf sie voll ins Gesicht. Hier war Angriff die beste Verteidigung.
Rachel hatte keine Ahnung, wohin die fesselnde Anekdote über Marys kanadischen Neffen führen würde. Ihre Mutter dürfte sich wohl kaum wünschen, dass sie auswanderte. Aber ums Eislaufen oder Nicht-Eislaufen schien es hier auch nicht zu gehen.
»Das arme Mädchen, sie muss jeden Morgen um fünf Uhr noch vor der Schule zum Training auf den Platz. Wahnsinn!«
Aha, die Freizeitbeschäftigungen der Kinder.
»Und ich sag: ›Mary, sei froh, dass sie beide Elternteile hat‹, sag ich, ›Rachel würde so was nicht hinkriegen. Jetzt, wo sie alleinerziehend ist …‹«
Da! Klatsch! Es ging also um die Trennung.
»Josh und Poppy haben zwei Elternteile, Mama. Falls dir das entgangen sein sollte. Den anderen Teil hast du sogar mal getroffen. Erinnerst du dich? Der Typ auf meiner Hochzeit?«
»Ja, früher, stimmt. Lang ist’s her.«
»Er ist lediglich ausgezogen. Wir haben uns erst letzten Monat getrennt.« Den Rest nuschelte sie in den Hörer. »Oder den Monat davor.« Mist, das war schon fast drei Monate her.
»Aber er ist bestimmt nicht so oft da, wie er’s dir versprochen hat.«
»Er ist ständig da!« Na, super, jetzt benahm sie sich plötzlich wie eine Cheerleaderin im Chris-Mason-Fanclub. Ständig da? Selten so gelacht! »Erst vor ein paar Tagen hat er Josh zu einem Fußballspiel mitgenommen.« Vorletzte Woche, um genau zu sein.
»Wie nett von ihm. Und was ist mit Poppy? Wann hat er seine Tochter das letzte Mal abgeholt?«
Gute Frage.
»Sie sind beide an diesem Wochenende bei ihm!« Als sie den Triumph in ihrer Stimme hörte, schauderte ihr. Hör sich das einer an! Der Vater ihrer Kinder bekam es endlich mal auf die Reihe, die beiden zum ersten Mal in diesem Sommer ein Wochenende zu sich zu nehmen, und schon war er Brad Pitt.
»Na, ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll, wo er ihnen doch noch nicht mal Betten gekauft hat.«
»Die besorgt er diese Woche!« Tusch und Fanfare. Lasst uns alle den Großen Meister preisen, der seinen Kindern Betten beschert.
»Ach, das macht er doch eh nicht. Egal. Ich wollte wissen, ob du demnächst mal kurz vorbeikommen und mir helfen kannst.«
»Klar. Kein Problem. Ich bin ja nur eine überlastete alleinerziehende Mutter.« Bei diesem Spruch fand sie sich ziemlich blöd. »Hab ja nichts Besseres zu tun. Womit kann ich dir dienen?«
Ihre Mutter ignorierte sie einfach.
»Es geht um meine Bienen. Ich muss die Bienenstöcke aufmachen, und das mache ich nicht so gern allein.«
Aha, diese Aufgabe von Chris wurde ihr also auch noch übertragen. Mit ihrem ständigen Streben nach Unabhängigkeit raubte ihre Mutter allen Menschen in der Umgebung die Energie. Rachel drehte sich wieder zur Spüle und sank kraftlos in sich zusammen. Sie hatte es mit einem echten Phänomen zu tun: Je mehr sie sich an die Abwesenheit ihres Mannes gewöhnte, desto größer wurde die Lücke, die er hinterlassen hatte. Während ihr Hirn das Fehlen des Liebhabers und Erziehungspartners bereits verarbeitet hatte – und wie! –, tat es sich mit den Auswirkungen auf das Umfeld erheblich schwerer. Ihre Mutter hatte nämlich auch einen Schwiegersohn verloren, der ihr, das musste Rachel zugeben, stets freundlich zu Diensten gewesen war.
Sie vermisste ihn wohl auch. Das hatte Rachel nicht bedacht.
»Ja, gut. Aber ich arbeite die ganze Woche.«
»Ja, ja, klar. Du ›arbeitest‹.« Ihre Mutter schaffte es immer wieder, dieses Wort in gefühlte Gänsefüßchen zu setzen. Es fiel ihr wohl immer noch schwer zu verstehen, dass man mit selbst gemalten Bildern Geld verdienen konnte.
»Ja, ich arbeite und habe viel zu tun. Aber ich komme am Wochenende.«
Sie legte auf, und langsam verrauchte ihr Zorn. Der aufmüpfige Teenager in ihr blitzte noch mal kurz auf, dann übernahm die Erwachsene wieder das Ruder. Poppy, begeisterter Fan der Fantasy-Serie Dr. Who ,
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