Mutter des Monats
Rachel, man konnte ihm alles um die Ohren hauen, und er war nie eingeschnappt, während seine Frau beim kleinsten Anlass die beleidigte Leberwurst spielte.
»Ach, komm schon. Ich wollte doch nur nett sein. Warum besuchst du uns eigentlich nicht mehr, Rachel? Ich vermisse dich richtig.«
»Tja, ich glaube, da musst du deine Frau fragen.«
»Aber wir sind alte Kumpel, du und ich. Sie kann mir meine alten Kumpel nich einfach wegnehm.« Es war noch nicht mal 21 Uhr, aber er war schon ziemlich knülle. »Wir sollten uns mal treffen. Allein.«
»Meinst du?« Sie hielt die Hand ausgestreckt wie ein Verkehrspolizist.
»Ja. Ich bin immer für dich da, Rachel. Ob wir uns auf ein Bierchen treffen oder ’ne Tasse Tee. Hey, ’ne schnelle Nummer geht auch. Ich bin für dich da. Ich bin dein Mann, okay?«
»Das, ähm, ist echt nett von dir, Tony.« Rachel trat ein paar Schritte zurück, wobei sie vorsichtig über die Zeltleinen stieg.
Tony wackelte mit dem Zeigefinger und geriet dabei fast ins Straucheln. »Beim Vögeln sollte man sich auf zuverlässige Partner verlassen.« Ganz der Geschäftsmann.
»Werde ich mir merken.« Fast hatte sie den Toilettenwagen erreicht.
»Vergiss deinen alten Kumpel nicht, wollte ich nur sagen.«
Rachel wandte sich um, stieg die dünnen Blechstufen hinauf und schloss die Tür. In Sicherheit. Sie betrachtete ihr feuchtes, ziemlich rotes Gesicht im Spiegel. Umfassende Retuschierarbeiten waren vonnöten, bevor sie sich wieder ins Getümmel stürzen konnte. Hinter ihr ging die Spülung, und Bea kam aus der Kabine.
»Na, so ein Zufall.« Sie stellte sich vor das andere Waschbecken, und beide starrten in den Spiegel.
»Hi Rachel. Du siehst super aus.«
»Danke, Bea.« Rachel hatte vergessen, welche Gefühle ein Kompliment von Bea, mit schmeichelnder Stimme gemacht, auslösen konnte: Auf einmal wurde ihr ganz warm ums Herz.
»Mir ist aufgefallen, dass du dein Äußeres seit einiger Zeit vernachlässigt hast. Schön zu sehen, dass es auch anders geht.«
»Ach. Vielen Dank, Bea.«
Bea stellte ihr Make-up-Täschchen ab und sah Rachel direkt ins Gesicht. »Tut mir leid, das war nicht so gemeint. Ich wollte nur sagen, dass du in letzter Zeit ziemlich mitgenommen aussahst.«
»Tja, vielleicht weil meine Ehe in die Brüche gegangen ist? Das gilt im Allgemeinen als harter Schlag.«
»Es tut mir ja auch leid, dass wir uns nicht mehr so oft sehen, aber es ist momentan auch schwierig für uns, Rachel.«
»O Gott, ja, das muss furchtbar für dich sein. Darüber habe ich gar nicht nachgedacht, wie schrecklich das für dich sein muss.«
»Rachel, du und Chris, ihr wart unsere besten Freunde. Da können wir nicht Partei ergreifen.«
»Partei? Partei ergreifen? Die eine Partei bumst eine Assistenzärztin. Die andere … was? Wo ist die zweite Partei, Beatrice?«
»Bei einer Trennung gibt es immer zwei Seiten. Meine Liebe, du musst deine Wut besser in den Griff bekommen.« Bea tätschelte Rachels Hand. »Versuch mal, die Situation mit etwas mehr Würde zu tragen.« Sie lächelte, ließ Rachels Hand los und widmete sich wieder dem Spiegel, ihrem Täschchen und dem Lippenstift. Mit gespitzten Lippen fügte sie hinzu: »Tony vermisst dich auch.«
»Hmm.« Rachel bewegte sich Richtung Ausgang. »Das hat er mir auch schon gesagt.« Sie trat so energisch auf die oberste Stufe, dass sie klapperte, und der Wagen bebte. »Gerade eben. Hier draußen. Als er mich wie ein ekliger Perverser begrapscht hat.«
Mit diesen Worten trat sie in die nasse Nacht.
Hauptspeise
Der Auftritt des Fish-and-Chips-Wagens, der über den Rasen rumpelte und schließlich vor dem Zelt stehen blieb, war wirklich bühnenreif. Deborah würde das entzückte Gelächter und die Jubelrufe so schnell nicht vergessen. Der beste Ausweg aus der morgendlichen Krise: günstig, lustig und – das war Deborah am wichtigsten – genau passend zum Motto. Wäre schön, wenn Melissa das mit eigenen Augen hätte sehen können. Tja, die Spencers waren eben noch nicht ganz integriert in das soziale Umfeld von St. Ambrose, standen noch ein bisschen am Rand. Wir müssen sie in unsere Runde aufnehmen. Melissas Einsatz war wirklich phänomenal gewesen: Sie hatte nicht nur diese umwerfende Idee gehabt, nein, sie kannte den Fish-and-Chips-Verkäufer auch noch persönlich. Man stelle sich vor, sie war tatsächlich mit einem Imbissbesitzer befreundet. Folglich war Deborah um zwei Ecken auch mit ihm bekannt. Zum Schießen! Und dann hatte sie ihn auch noch gleich
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