Mutter des Monats
ich gemacht. Und sie haben ihn genommen. Und ich glaube, also, es sieht so aus, als wären sie … einfach damit abgehauen!«
12 Uhr: Mittagspause
Deborah saß vor einem Haufen Zettel am Küchentisch. Jedes Mal, wenn sie einen las, zitterte ihre Hand. Und überall standen Zahlen. Zahlen über Zahlen. Zahlen, die nie eine logische Summe ergaben oder sich netterweise gegeneinander aufrechnen ließen. So viele Zahlen, und jede einzelne mit einer zutiefst negativen Grundhaltung, für die Deborah nun mal rein gar nichts übrighatte.
Und Zahlen konnte sie ohnehin nicht ausstehen. Ideen, ja, das war eher ihr Ding. Und Einfühlungsvermögen, natürlich. Das war ganz typisch für sie, sozusagen ihr Markenzeichen. Zahlen langweilten sie zu Tode. Komisch, wenn sie jetzt zurückdachte, waren Zahlen immer da gewesen, eine Konstante in ihrem Leben als Mutter. Dieses ständige Zählen, das angeblich helfen sollte – so stand es jedenfalls in diesem schlauen Geburtsratgeber –, wenn man Wehen hatte. Also hatte sie brav auf dem Sitzsack gehockt, kugelrund, gekeucht und gesungen und gehofft, ihr Baby würde bei drei aus ihr herausgleiten, aber nach ein paar erfolglosen Tagen – oder waren es Jahre gewesen? – hatte man sie schließlich in den OP geschoben und einen Kaiserschnitt vorgenommen.
Dann hatte sie die ersten Monate zu Hause verbracht, bevor sie ein Kindermädchen engagiert hatten – Gott, Kindermädchen! Die zählte sie lieber nicht. Diese Fläschchen mit ihren Millilitern und Dezilitern – von Dezilitern hatte sie vorher noch nie gehört. Warum auch? Das war so wenig – lächerlich! Und Stunden in der Nacht und Dosierung der Hustentropfen. Zählen, zählen, zählen, Zahlen, Zahlen, Zahlen und alles so langweilig und erbarmungslos, dass sie am liebsten sofort wieder ins Büro geflüchtet wäre, wo es ganze Abteilungen voller Menschen gab, die einem das Zählen abnahmen. Die saßen richtig begeistert vor ihren kleinen Maschinen und zählten alles zusammen, damit sie sich ganz auf ihre Kernkompetenz, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, und all die anderen Sachen konzentrieren konnte, für die man sie so schätzte.
Zehn Jahre und zahllose Kindermädchen später saß sie wieder hier und zählte. Liegestützen im Fitnessstudio und Würstchen pro Person und den Preis an der Zapfsäule, wo sie gefühlte zehnmal die Woche anstehen – der Wagen soff so viel Benzin, es war unfassbar – und zusehen musste, wie die Literpreise immer höher anstiegen und überhaupt nicht mehr aufhörten damit, bis sie fast den Verstand verlor. Damit sie also nicht vollends durchdrehte, hatte sie sich dieses große Projekt vorgenommen, diesen Ball, bei dem sie ihre Kreativität und Originalität und soziale … ja, Begabung – so konnte man das wohl nennen – zur Schau stellen konnte, und was war passiert? Sie saß hier am Tisch, starrte auf Zahlen und wusste ganz genau, dass sie nie eine logische Summe ergeben würden.
Am liebsten hätte sie losgeheult, aber das wäre nicht gut. Wirklich nicht. Die anderen würden bald eintreffen, deshalb musste sie sich zusammenreißen, aber wenn es eines gab, was sie mit ihren mehr als vierzig Jahren bereute – und Deborah verabscheute Reue, dafür hatte sie ganz und gar nichts übrig, das war wieder nur Ausdruck einer negativen Grundhaltung –, dann war es ihre Idee, den Scheiß-Weihnachtsball von St. Ambrose mit dem Motto England im Winter am verdammten Meer zu veranstalten.
Rachel und Heather kamen zur gleichen Zeit an, zogen schwungvoll die Autoschlüssel ab und rissen die Wagentüren auf. Sharon und Jasmine stiegen auch gerade aus und flitzten unter dem Schutz ihrer ausgebreiteten Mäntel durch den strömenden Regen ins Haus. Clovers stattliches Hinterteil schob sich bereits durch die Eingangstür. Das ist richtig gut, dachte Rachel. Wie im Fernsehen. Wir könnten glatt bei CSI mitmachen.
Deborah rang die Hände, während sie vergeblich versuchte, nicht zu schluchzen. »Ich habe Bea letzte Woche den Scheck gegeben, und sie haben ihn eingelöst, die Schweine haben ihn eingelöst …« – Schluchz – »Das hat mir die Bank gerade mitgeteilt, und das war mein Geld. Ich habe gedacht, ich strecke es erst mal vor, bis wir die Tickets verkauft haben …« – Schluchz – »… und heute Morgen habe ich noch gedacht, ich denke, das ist doch komisch, die müssen für hundertfünfzig Leute kochen und haben nur noch …« – Heul – »… acht Stunden, und es ist noch keiner da und nichts, die haben
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