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Mutter macht Geschichten

Titel: Mutter macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troy Una
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lebe. Er hatte gehofft, daß die Mutterpflichten sie etwas gesetzter werden ließen, aber als die Kinder kamen, ging sie mit ihnen genauso sorglos und heiter um wie mit allen anderen Menschen. Mr. Brown gab ohne weiteres zu, daß ihre unkonventionelle Art der Kindererziehung durchaus erfolgreich war – die ganze Familie schlug eher ihm nach –, was ihn aber nicht hinderte, selber eisern an Konventionen festzuhalten. Die Kinder beteten die Mutter an, aber mit dem Beispiel des Vaters vor Augen kamen sie sich schon als Teenager unendlich viel älter und weiser vor als ihre ach so geliebte Mutter.
    »Was das Irische betrifft«, sagte Jill, »so sind wir doch alle halbe-halbe; darin seh' ich eigentlich keinen Nachteil.«
    »Ja, aber bei uns hat die englische Hälfte die Oberhand gewonnen.«
    Dina und James hatten wie der verstorbene Vater aschblonde Haare und graue Augen und wirkten tatsächlich ungemein englisch. Jill dagegen, deren Anteil an der Familienschönheit ungebührlich hoch ausgefallen war, hatte die langen Wimpern, die glänzenden blauen Augen und die goldschimmernden, etwas dunkleren Haare der Mutter geerbt. Aber ansonsten war auch sie mehr eine Brown als eine O'Leary.
    »Ich bin sicher, daß keiner von uns Mutters ureigenstes Wesen verändern will, egal, ob es von ihrer Heimat oder von was anderem geprägt ist«, meinte James, bei dem die englische Hälfte derart dominierte, daß er oft wie die zweite Auflage seines Vaters wirkte und sprach. Auch stand er diesem an Ernsthaftigkeit um nichts nach und war ihm deshalb freudig in dieselbe Abteilung des Londoner Bezirksamtes gefolgt, wo er den gleichen Arbeitseifer und das gleiche Pflichtgefühl wie sein Erzeuger an den Tag legte. Jetzt warf er einen Blick auf seine Uhr und runzelte die Stirn. Es war Zeit für ihn, ins Büro zurückzugehen. Einige Sekunden irrten seine Gedanken von seiner Mutter zur Slum-Beseitigung ab, doch er fing sie sofort wieder ein und lenkte sie dorthin, wo sie im Moment am dringendsten benötigt wurden.
    »Wir sind uns doch wohl darüber einig, daß Mutter der Wahrheit ins Auge sehen muß? Wir müssen ihr ins Gewissen reden, und zwar heute abend noch!« erklärte James, nunmehr völlig das Ebenbild seines Vaters. »Es geschieht ja nur zu ihrem eigenen Besten.«
    Zur selben Zeit, nur einige Meilen entfernt, ließ Elsie Brown in ihrem Häuschen die Tasse Kaffee, die vor ihr auf dem Küchentisch stand, kalt werden, während sie, genauso aufmerksam wie ihre Familie, in der gleichen Zeitung den gleichen schnöden Artikel las. Sie blickte Cucullan an, der ihr auf einem Stuhl gegenüber saß. Das war seit jeher sein Lieblingsplatz.
    »Wir sind in Ungnade gefallen«, sagte sie.
    Cucullan spitzte ein Ohr und klopfte mit dem Schwanz auf den Stuhl. Elsie machte sich keinen frischen Kaffee, sondern trank schnell und voller Reue den abgestandenen, weil ihr gerade wieder die Mahnung von Mr. Brown: Vergeude keine Energie, nütze sie, eingefallen war. Sie stand hastig auf. Die Sonne schien auf die Kletterrosen im Hintergärtchen. Sie sahen zwar nicht mehr ganz so adrett aus wie unter Mr. Browns sorgsamer Pflege, blühten aber immer noch farbenfroh und üppig, und ihr Anblick erfreute Elsies Herz. Es schien unangebracht, sich einen so schönen Tag mit Grübeln zu verderben. Sie ging mit Cucullan hinaus, um die welken Blüten abzuschneiden, denn sie hatte heute den dringenden Wunsch, etwas zu tun, was Mr. Browns Beifall gefunden hätte – sozusagen als Wiedergutmachung für all die Dinge, die sie letzthin angestellt hatte und die ihm gar nicht gefallen hätten.
    Sie fing an zu singen, während sie die Rosen beschnitt. Wenn es stimmte, daß in Elsie die irische Natur wieder durchbrach, so war das nicht weiter verwunderlich, denn im Grunde hatte sich Elsie in den ganzen fünfundzwanzig Jahren, die sie aus Irland fort war, nicht viel verändert. Zwar war sie nicht mehr so gertenschlank wie früher, aber sie hatte weder ihren breiten irischen Akzent verloren noch ihren Gang (der mehr ländlichen Wegen als dem Großstadtpflaster angemessen schien), noch ihre Angewohnheit, mit völlig Unbekannten ein Gespräch anzuknüpfen.
    »Und sie lebt am schönen Anner …« sang Elsie, während sie gnadenlos an den wuchernden Kletterrosen herumschnipselte, »… an dem Flusse Slievnamon!« Dann brach sie ihren Gesang ab und zerdrückte eine Träne für Mr. Brown. Jeden Morgen hatte sie auf seinen Wunsch hin eine Rose abgeschnitten und sie ihm ins Knopfloch

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