Mutter macht Geschichten
Diese traurige Wahrheit wurde dem Polizeiwachtmeister P. C. Stapleton nur zu deutlich vor Augen geführt, als er Mrs. Elsie Brown wegen eines Verkehrsdeliktes anhielt …«
»Und sie hat uns nichts von der Vorladung gesagt. Stellt euch das vor!« rief Dina. »Arme Mammi! Sicher hat sie sich die ganze Woche schreckliche Sorgen gemacht.«
»Sie sah aber gar nicht so aus«, bemerkte Jill etwas erstaunt. »Vermutlich dachte sie, es ließe sich doch irgendwie vertuschen. Arme alte Mammi! Sie hat aber auch wirklich Pech, daß jemand die Sache wichtig genug fand, um eine fette Glosse darüber zu schreiben.«
»Das einzig richtige wäre gewesen, uns sofort um Rat zu fragen«, sagte James streng, »statt dessen hat sie sich durch ihre Geheimniskrämerei zum Gespött der Leute gemacht.«
»Übertreib doch nicht so, James«, rief Dina, »sie hat ja noch nicht mal eine Strafe zahlen müssen.«
»Dieser alberne Artikel hier ist fast noch schlimmer als eine Strafe. Ich hasse Menschen, die auf anderer Leute Kosten komisch sein wollen.«
»Nun, hoffentlich war es für Mutter eine Warnung, aber was viel wichtiger ist, auch für uns sollte es eine sein.« James las weiter. »Damen am Steuer, bemerkte der Richter, dürfen immer mit einer gewissen Nachsicht rechnen, aber …«
Dina rief aufgebracht: »Nun hör schon auf, James!«
Jill schüttelte, von Selbstvorwürfen gequält, den Kopf: »Da ich die einzige bin, die noch bei Mammi wohnt, trifft mich ja wohl die größte Schuld, weil ich die Dinge einfach hab' laufen lassen.«
Aber der stets gerechte James widersprach: »Nein, wir sind alle drei gleich schuldig. Wir hätten von Anfang an besser auf Mutter aufpassen sollen.«
Der Anfang lag zwei Jahre zurück, als Mr. Edward Brown, Beamter des Bezirksamtes Groß-London, plötzlich an einem Schlaganfall starb. Sein Sohn und seine beiden Töchter waren sich sofort darüber einig gewesen, daß es von nun an ihre Pflicht sei, sich um die geliebte Mutter zu kümmern. Mr. Brown hatte dies immer vorbildlich und scheinbar mühelos getan, aber seine Kinder mußten zu ihrem größten Erstaunen feststellen, daß es viel schwieriger war, als es zunächst ausgesehen hatte.
»Wir waren unverzeihlich nachlässig«, erklärte James, »und viel zu nachgiebig! Wir haben die Zügel schleifen lassen, obwohl es an Warnsignalen gewiß nicht gefehlt hat!«
»Wie etwa der Hutladen!« erinnerte Jill.
»Und dann dieser Blumenladen!« meinte Dina. »War es nicht eigenartig, daß die Blumen immer gleich welk waren?«
»Nicht, wenn man sich auf dem Markt den letzten Dreck andrehen läßt!« sagte James. »Aber erst dieser Hund!« Er starrte noch immer auf die Zeitung, wo ›dieser Hund‹ in Lebensgröße neben seinem Frauchen abgebildet war.
»Unser Hauptfehler war«, stellte Jill fest, »daß wir den Wagenkauf nicht mit allen Mitteln verhindert haben. Es ist sicher nicht unser Verdienst, daß es Mammi bisher mißlang, sich zu Tode oder wenigstens zum Krüppel zu fahren.«
»Das sind die größten ungelösten Probleme«, seufzte Dina. »Aber findet ihr nicht, daß Mammi sich auch in Kleinigkeiten ziemlich verändert hat? Habt ihr nicht bemerkt, daß seit Vaters Tod ihre irische Natur immer stärker durchbricht?«
Vor fünfundzwanzig Jahren war Mr. Brown, ein gesetzter Junggeselle, der auf die vierzig zusteuerte, für ein paar kurze Ferientage zum Fischen nach Dooneen, einem kleinen irischen Kurort, gefahren. Er zog in den einzigen Gasthof am Ort, »O'Learys Familien-Hotel«, und verliebte sich gleich am ersten Tag in Elsie O'Leary, eine siebzehnjährige Waise, die ihren Großeltern beim Bedienen und in der Bar half. Aus Angst, sie zu verlieren, heiratete er sie stante pede und nahm sie mit in sein Londoner Vororthäuschen. Die Heirat war eine der wenigen impulsiven Handlungen in Mr. Browns sonst wohlgeordnetem Leben. Er bereute sie zwar nie direkt – denn er hörte nie auf, Elsie zu lieben –, aber als praktisch denkender Mensch erkannte er sehr bald, daß Elsie, objektiv gesehen, als Bezirksamts- und Vororts-Gattin nicht unbedingt geeignet war. Auch konnte er sich nie ganz des Eindrucks erwehren, daß sie dem aufreibenden Beruf ihres Ehegatten nicht genug Achtung zollte. Abgesehen davon fehlte es ihr an Methodik im Haushalt, obwohl sie es ihm auf ihre unbekümmerte, lässige Art recht gemütlich machte. Seine Frau, stellte Mr. Brown gelegentlich ungläubig erstaunt fest, schien wirklich zu meinen, daß man nur zu seinem eigenen Vergnügen
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