Mutter macht Geschichten
Gesicht, drehte sich auf dem Absatz um und ging mit seiner Frau hinaus. Draußen zog er sein Taschentuch und trocknete sich die Stirn ab.
»Vielen Dank, Pam, wenn ich noch eine Sekunde länger geblieben wäre, hätte ich dem Kerl alle Zähne eingeschlagen. Das heißt«, fügte er, sogar in seiner Wut noch pedantisch, hinzu, »ich hätte es zumindest versucht. Obwohl eine öffentliche Schlägerei Mutters Ruf nur noch mehr geschadet hätte.« Er sah plötzlich ganz verloren aus. »Es ist zwar unvorstellbar, daß er überhaupt geschädigt ist, aber offensichtlich ist das der Fall.«
Pamela erinnerte sich wieder an das verstörte Aussehen ihrer sonst so heiteren und sorglosen Schwiegermutter und an die Worte ›ich habe dich gewarnt‹, die Elsie ihr in ihrem begreiflichen Ärger zugeflüstert hatte, bevor sie fortgelaufen war, um sich zu verstecken. Nach einem kurzen inneren Kampf wußte Pam, daß sie James die längst fällige Wahrheit sagen mußte. Sie fing an zu reden, brachte es aber nicht fertig, ihm dabei in die Augen zu sehen.
»Ich glaube, es ist am besten, wenn ich dir erzähle, was meiner Meinung nach heute abend wirklich passiert ist …« Die einzige Möglichkeit, alles loszuwerden, war, so schnell wie möglich zu sprechen, damit er sie nicht unterbrechen konnte. »Dann brauchst du nämlich niemandem die Zähne einschlagen, denn damit kommst du der Wahrheit auch nicht näher. Ich weiß genau, daß du Zilla Radokov nicht glaubst, aber irgendwas mußt du dir bei ihren Worten doch gedacht haben, und du hast ja wohl auch gemerkt, daß andere Leute ihr durchaus glauben. Nun, die Erklärung ist ganz einfach – zumindest für jeden, der deine Mutter kennt. Sie ist nur meinetwegen in diese schiefe Situation geraten. Bitte, unterbrich mich nicht! Ich bin sicher, sie hat das Ganze arrangiert, um mir zu beweisen, was für ein primitiver Weiberheld dieser Radokov ist. Verstehst du, sie hat mehrmals versucht, mich vor ihm zu warnen, aber ich bin ihr jedesmal über den Mund gefahren.« Pamela lachte kurz und bitter auf. »Ich hab' mir eingebildet, daß er mir zu Füßen liegt. Und deine Mutter hat zufällig gehört, wie ich mich für heute abend mit ihm verabredet habe, woraufhin sie sich entschloß, das Problem auf ihre berühmte drastische Art zu lösen. Vermutlich hatte sie vor, einen Riesenkrach zu schlagen in dem Augenblick, wo ihre Tugend in Gefahr war, um Radokov vor allen Leuten bloßzustellen. Das einzige, was ich nicht weiß, ist, ob Zilla nun zufällig hereingeplatzt ist oder ob Schwiegerma es mit ihr abgesprochen hat, um die Szene noch wirkungsvoller zu gestalten. Aber das ist ja auch nebensächlich, im großen und ganzen bin ich sicher, daß die Sache sich so abgespielt hat. Und das wär's. Außer, daß ich vielleicht noch hinzufügen sollte, daß es deiner Mutter wenigstens gelungen ist, mich vor physischer Untreue zu bewahren. Auch wenn ich nicht glaube, daß das einen großen Unterschied macht.«
Es dauerte eine ganze Zeit, bis James etwas sagte, und dann klang seine Stimme schleppend und tonlos.
»Ich habe bisher geglaubt, unsere Ehe stünde so fest wie ein Fels in der Brandung.«
»Oh, ich bin überzeugt, du hättest auch Lehrbücher über die ideale Ehe gefunden, aber auf unsere zweite Hochzeitsreise hast du eben die falschen mitgenommen.«
James schwieg wieder längere Zeit.
»Ich verstehe, was du meinst. Aber du hättest wissen müssen, daß ich dich nicht absichtlich vernachlässigt habe.«
»Es hängt alles davon ab, was man für wichtig hält. Ich habe dich jedenfalls nicht geheiratet, um einen Ernährer zu haben.«
Er wiederholte: »Ja, ich verstehe. Und ich verstehe jetzt auch, daß Mutter versucht hat, mich zu warnen. Sie hat mir gesagt, ich verstünde nichts von Frauen. Aber auf die Idee, daß ich als Ehemann versagt habe, bin ich bislang noch nicht gekommen.«
Sie blickte ihn an. Er sah nicht verärgert, sondern nur erstaunt und schmerzlich berührt aus. Sie hatte ihn tief verletzt. Sie wollte sagen: »Es tut mir leid!« Aber statt dessen rief sie trotzig: »Du hast mich verletzt!«
»Ich gebe zu, daß ich versagt habe. Mir will scheinen, daß wir in Zukunft beide versuchen müssen, vorsichtiger zu sein.«
Wenn er getobt und gebrüllt hätte, wäre sie weniger beschämt gewesen als jetzt. Jeder andere Mann hätte getobt und gebrüllt, aber nicht James. Er war fast unmenschlich in seiner Gerechtigkeit. Sie biß sich auf die Lippe, um die Tränen zurückzuhalten, und murmelte
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