Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
Mutter sie schon lange nicht mehr nutzen. Die Krankheit ist so weit fortgeschritten, dass sie nicht mehr stehen und auf einem Hocker sitzen kann. Tessa hat große Mühe, sie von einem Ort zum anderen zu bewegen. Sie ist eine kleine Person, und ich sehe, wie sehr sie unter der körperlichen Belastung zu leiden hat. Doch bis jetzt habe ich dieses Thema erfolgreich von mir weggeschoben. Ich will nicht schon wieder eine neue Entscheidung treffen müssen, will mich nicht erneut mit den Behörden herumschlagen, Anträge stellen, Begründungen formulieren, Formulare ausfüllen.
Eines Morgens bittet mich die Pflegerin der ambulanten Pflege zu einem Gespräch. Sie redet dieses Mal nicht lange drum herum: »Es geht jetzt wirklich nicht mehr. Ihre Mutter ist wegen ihres Gewichts kaum noch zu heben«, erklärt sie. »Wenn Sie wollen, dass wir sie weiterhin baden, dann brauchen wir einen Deckenlift.«
Sie führt mich ins Bad und zeigt mir, wo der Lift angebracht werden soll. An der Decke wird eine Aufhängung montiert, an der Seile hängen, daran wiederum ist ein Sitz befestigt. Noch kann ich mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll.
Die Stimme der Pflegerin des ambulanten Dienstes klingt hörbar entnervt. Anscheinend gab es schon wieder kleine Reibereien zwischen den Pflegern. Sie sind sich nicht immer einig, was die Details betrifft. Mal beschwert sich der Leiter der ambulanten Pflege über den arroganten Ton der häuslichen Pfleger, mal klagt Tessa über die abweisende und besserwisserische Art des ambulanten Dienstes. Ich höre mir das stets geduldig an und versuche zu schlichten. Noch! Doch langsam geht mir auch das auf die Nerven.
»Gut, ich werde mich darum kümmern«, sage ich.
Mir graut davor. Die Prüfungen als Betriebswirtin stehen auch ins Haus. So ist Zeit augenblicklich ziemliche Mangelware bei mir. Alles muss immer extrem schnell erledigt werden. Deswegen bedeuten Wünsche, wie beispielsweise dieser Deckenlift, puren Stress für mich.
Kaum ist die ambulante Pflege weg, kommt Tessa zu mir und schüttelt den Kopf: »Ob der Deckenlift die Lösung ist? Ich bin mir da nicht sicher. Wie soll deine Mutter darin sitzen?«
»Ich finde, es macht Sinn«, sage ich.
Schnell verlasse ich die Wohnung. Nur keine weitere Diskussion! Beim Hinausgehen höre ich meine Mutter aus dem Wohnzimmer rufen: »Hallo! Hallo! Hilfe!«
Das kann ja ein prima Tag werden. Gleich wird mein Vater zu ihr flitzen und auf sie einreden. Kein Wunder, dass auch Tessa nervlich am Ende ist.
Am nächsten Morgen, es ist Samstag und ich liege noch im Bett, höre ich Tessa, die sich mit einer Frau streitet. Ich springe in meine Jeans und streife mir ein T-Shirt über. Besser, ich gehe jetzt hinunter und löse das Problem gleich, bevor ich nur Ergebnisse serviert bekomme. Schon auf der Treppe bekomme ich mit, worum es geht, die Stimmen klingen sehr gereizt.
»Jetzt will sie aber nicht mehr gewaschen werden«, schimpft Tessa. »Sie will jetzt frühstücken.«
»Aber ich kann nicht warten, bis sie fertig ist«, blafft die Pflegerin vom ambulanten Dienst.
»Nein!«, höre ich Tessa, als ich die Tür öffne. » NEIN ! Lassen Sie sie bitte sitzen.«
Ich trete in das Esszimmer und sehe beide Pflegerinnen am Tisch stehen.
»Was ist hier los?«, frage ich ungehalten.
Tessa wendet sich zu mir. »Sie ist viel zu spät dran. Und jetzt will deine Mutter nicht mehr gewaschen werden. Sie frühstückt schon.«
Meine Mutter sitzt völlig unbeteiligt am Tisch, als ginge sie das nichts an. In diesem Moment ist es auch sicher besser, sie versteht nicht, worum es geht. Mein Vater hingegen fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Die beiden Frauen streiten sich über seinen Kopf hinweg, was ihn völlig überfordert, und nun komme ich auch noch hinzu.
»Wann hätten Sie denn kommen wollen?«, frage ich die Pflegerin.
»Meistens komme ich gegen halb neun. Aber heute ist einiges anders gelaufen als geplant«, erklärt sie. »Ich würde Ihre Mutter jetzt gern waschen, aber Tessa hat was dagegen.«
Ich sehe Tessa an, die sich vor meiner Mutter aufgebaut hat. »Nein, ich werde das später selbst machen«, sagt sie bestimmt. »Deine Mutter soll jetzt in Ruhe essen dürfen.«
Damit die Situation nicht weiter eskaliert, bitte ich die Pflegerin, heute auf die Morgenwäsche zu verzichten. Widerwillig findet sie sich damit ab, verspricht jedoch, am nächsten Tag nicht mehr zu spät zu kommen.
Ihr Versprechen in Ehren, aber mir ist klar, dass sie das
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