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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rosenberg
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wieder klar denken kann.
    So viel ist gewiss: Es wird wohl eine Zeit dauern, bis meine Wunden verheilen. Ich begreife, dass ich zwar einen richtigen Schritt in die richtige Richtung getan habe, dass ich aber noch lange nicht am Ziel bin.

Kapitel 6
    2008–2009

Wege in ein neues Leben
    Für Jens und mich ist mein Zusammenbruch in der Küche ein Grund, die Veränderung meiner Eltern und insbesondere die Demenz meiner Mutter erneut zu besprechen.
    »Es lässt mich nicht los«, klage ich ihm mein Leid. »Egal, wo ich bin, das Problem verfolgt mich. Aber ich bräuchte so dringend mal eine Auszeit. Seit Jahren dreht sich mein Leben um die Krankheit der Eltern, die tiefe Depression, in der sie stecken, und über den Tod und ihr Elend.«
    Oft denke ich sehnsüchtig an die Zeit, bevor meine Eltern ein Pflegefall wurden. Ich habe mich zwar mit dem Thema Tod immer wieder einmal auseinandergesetzt, aber nur dann, wenn ich es wollte. Es war ein Leben in Freiheit damals. Unbekümmert und leicht war es, so erscheint es mir heute. Nun stecke ich seit Jahren in einer schwierigen Pflegesituation, ich habe die Leichtigkeit des Seins verloren. Ich ertappe mich dabei, wie ich unsere Zeit im Alter plane, in Zeitungen lese ich aufmerksam die Artikel über neue Häuser für betreutes Wohnen.
    Das kann doch nicht wahr sein! Ich bin erst Mitte vierzig, denke ich erschrocken. Es fehlt nicht mehr viel, und ich suche mir eine geeignete Grabstelle aus. Damit muss Schluss sein!
    »Glaubst du, ein Urlaub würde helfen?«, fragt Jens.
    »Langfristig bestimmt nicht. Ich muss lernen, mit der Situation umzugehen, muss eine Mauer um mich herum bauen, um die Dinge an mir abprallen lassen zu können«, sage ich bestimmt.
    Eine Mauer zu bauen ist bestimmt eine gute Idee. Sich emotional zu schützen und nur an sich selbst zu denken, das könnte ein Weg sein. Doch wie kann ich das in die Praxis umsetzen?
    In den nächsten Monaten arbeite ich hart an mir.
    Wir haben uns gut im neuen Haus eingelebt, doch es gibt immer noch viel zu tun. Seit einer Woche war ich nicht mehr bei meinen Eltern, es wird Zeit, dass ich ihnen einen Besuch abstatte. Meine Cousine hat sich angemeldet, sie will sie am Wochenende besuchen. Heute ist eine gute Gelegenheit, meinen Vater darüber zu informieren.
    Es freut mich, dass doch noch mal der eine oder andere vorbeischaut. Viele sind es mittlerweile nicht mehr. Nicht zuletzt auch deswegen, weil es immer schwieriger wird, sich mit den Eltern zu unterhalten. Meine Mutter ist nicht mehr ansprechbar, und mein Vater kann mal gut oder mal schlecht gelaunt sein. Und wenn er sehr schlecht gelaunt ist, will niemand lange bei ihm sitzen. Da schimpft er über alles, was um ihn herum geschieht, und lässt an niemandem mehr ein gutes Haar. So haben sich die Besuche in den letzten beiden Jahren sehr stark reduziert. Ich kann es niemandem verdenken.
    Das Mittagsgeschirr ist weggeräumt, Lena sitzt in ihrem Zimmer und macht Hausaufgaben, und ich nutze die Gelegenheit, um mich mit unserem Hund auf den Weg zu den Eltern zu machen.
    Von Haus zu Haus laufe ich rund fünfzehn Minuten. Auf dem Weg nehme ich mir fest vor, mich nicht provozieren zu lassen. Egal was mein Vater sagen wird, ich werde nicht darauf eingehen. Im Kopf spiele ich sämtliche mir bekannte Szenarien durch. Seine schlechte Laune hat meistens auf mich abgefärbt, und oft hat das zu kleinen Streitereien zwischen mir und Jens oder zwischen mir und Lena geführt. Obwohl mir das bewusst ist, bin ich kaum in der Lage, dies zu ändern. Doch heute bin ich fest entschlossen, dagegen anzukämpfen. Sobald ich spüre, dass die Stimmung kippt, nehme ich mir vor, einfach aufzustehen und nach Hause zu gehen.
    Ich klopfe an die Tür, und eine strahlende Inga kommt mir entgegen. »Oh, Besuch für die Eltern!«, ruft sie fröhlich.
    Sie ist ein wahrer Schatz, denn ihre Freude ist echt. Sie strahlt genau die Wärme aus, die dieses Haus mit ihren Bewohnern vor langer Zeit einmal hatte. Wenn ich sie sehe und sie mich umarmt, erinnere ich mich an damals.
    »Dein Vater ist im Wohnzimmer!«, sagt sie verschwörerisch. »Möchtest du einen Kaffee?«
    »Nein«, sage ich schnell. »Lieber nicht.« Ich weiß ja nicht, wie lange ich es heute aushalte, da bleib ich besser auf dem Sprung.
    »Hallo«, begrüße ich meinen Vater.
    Ihn zu fragen, wie es ihm geht, habe ich mir längst abgewöhnt. Sein Zustand und der Zustand meiner Mutter erlauben diese oberflächliche Frage nicht mehr. Irgendwann hat er begonnen,

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