Mutterliebst (German Edition)
durchquert sie schnell den Raum und geht den Gang hinunter. Sie geht vor etwas, das ein Gästezimmer zu sein scheint, in die Knie und schaut durch den Türspalt. Da ist ein Schrank, der ihr vorübergehenden Schutz bieten könnte, falls es notwendig werden sollte. Der Gestank, der ihr beim Betreten der Wohnung entgegengeschlagen ist, ist hier besonders schlimm.
„Komm schon, Barry, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!“ Die Stimme klingt, als wäre sie höchstens zwei Schritt entfernt. Danielle drückt sich ganz still und unbeweglich an die Wand.
„Ich bin im Wasser, du Arschloch“, schreit die andere Stimme.
„Bist du sicher, dass sie nicht hier sind?“
„Nee, die sind schon seit Wochen weg.“
Danielle schlüpft ins Wohnzimmer und späht ungesehen durch die Schiebetür hinaus. Teenager. Sie erkennt die verschwommenen Silhouetten zweier nackter Jungs in dem schwach erleuchteten Pool. Ganz allmählich beruhigt sich ihre Atmung wieder. Unbeobachtet streckt sie den Arm aus und schiebt den Riegel vor die Tür. Nach ein paar Augenblicken kehrt sie zu dem Gästezimmer zurück, zieht die Vorhänge zu und knipst eine Schreibtischlampe an, die einen schmalen Lichtkegel erzeugt. Ein Computer mit Monitor steht auf dem Tisch.
In die gegenüberliegende Ecke wurde ein Holztisch gequetscht. Merkwürdige grüne Lichter fallen aus einem Bücherregal auf den Tisch. Sie erzeugen seltsame, summende Geräusche. Der Tisch ist komplett mit kleinen Plastikdisketten und Glasbehältern in unterschiedlichen Formen und Farben bedeckt. Danielle beugt sich darüber und schnüffelt. Der üble Gestank rührt nicht daher. Sie schaltet erneut ihre kleine Taschenlampe ein und lässt den Lichtstrahl über jedes einzelne Teil wandern. Petrischalen stehen dicht aneinander gedrängt, jede einzelne mit einem sauberen weißen Etikett beschriftet. Jegliche Art von Moder und Schimmel scheint sich bis zum äußersten Rand in diesen Schalen zu befinden – so als bemühe sich der Inhalt krampfhaft, nach draußen zu kommen. Danielle geht näher ran. Stachybotrys atra. Aspergillus. Fusarium. Claviceps purpurea.
„Oh, mein Gott“, wispert sie.
Es sieht aus wie ein Level-4-Labor im Zentrum für Seuchenkontrolle in Atlanta. Sie lässt den Lichtstrahl durch den Raum gleiten und findet eine große, himmelblaue Heftmappe. Sie ist sehr schwer. Im Inneren füllen detaillierte Diagramme und Datenprotokolle Hunderte von Seiten. Die verschiedenen Abschnitte sind mit noch fremderen Namen beschriftet. Aflatoxin. Ergotismus. Mykotoxin. Danielle schließt das Buch und sucht den Rest des Zimmers ab. Alles, was sie sonst noch findet, ist ein Stapel Rechnungen. Nichts sonst – keine Postkarten, keine persönliche Korrespondenz, nichts, was mehr über Marianne oder Jonas aussagen würde, nichts, was Danielle nicht schon vor ihrer Abreise aus Chicago über die beiden gewusst hätte. Was kann sie Sevillas und dem Richter mitbringen? Beweise dafür, dass Marianne merkwürdige wissenschaftliche Experimente in ihrem Gästezimmer anstellt? Vielleicht hat sie ja einen Forschungsjob in einem Laboratorium und erledigt einen Teil ihrer Arbeit zu Hause. Was auch immer es ist, es schreit nicht nach Mord.
Danielle knipst die Schreibtischlampe aus und tastet sich in den nächsten Raum vor. Hier sind die Vorhänge ebenfalls zugezogen. Die Luft riecht abgestanden und verbraucht. Sie schaltet eine Tischlampe ein. Mariannes Schlafzimmer. Über dem Kingsize-Bett liegt eine Spitzendecke, die kaum sichtbar ist, weil das Bett von einem Meer aus Kissen erdrückt wird. Alles wird von kitschigem, geblümtem Stoff bedeckt. Das Zimmer quillt über vor Nippeskram. Porzellanpuppen sitzen und liegen auf Tischen und füllen Regale. Die Gardine, die vor dem Fenster hängt, besteht aus einem seltsamen Blumenmuster in sanftem Pink und leuchtendem Rot. Was in diesem Dekor eines Südstaatenheims völlig fehl am Platz wirkt, sind die hölzernen Bücherregale, in denen sich dicke Wälzer zu medizinischen und pharmazeutischen Themen befinden.
Ein oberflächlicher Blick in Mariannes Schränke fördert nichts Ungewöhnliches zutage. Rasch durchstöbert Danielle auch noch die Schubladen, doch ihre neugierigen Finger stoßen nur auf einen Überfluss an Spitzendessous. In der letzten Schublade unter einem Haufen Strapsgürtel findet sie einen kleinen Schlüssel. Daraufhin hält sie nach einer Schmuckschatulle Ausschau, zu der dieser Schlüssel passen könnte. Nichts.
Sie geht auf einen anderen Raum am
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