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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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Medienkonsum der Kinder aufdecken.
    Praktischerweise sind diese Untersuchungen der Kinder mit der Ermittlung von schlechten Eltern gekoppelt. Ärztliche Untersuchungen sind oft die einzigen Möglichkeiten, Gewalt und Vernachlässigung in Familien zu entdecken. Deshalb wird ein Fernbleiben der kleinen Patienten äußerst kritisch gesehen. Die Untersuchungen sind theoretisch freiwillig, aber das System des Kinderuntersuchungshefts funktioniert wie eine Rasterfahndung: Man sucht nach den Merkmalen, von denen man annimmt, dass sie auf den gesuchten Personenkreis zutreffen. Und im Falle von gewalttätigen Eltern oder solchen, die ihre Kinder vernachlässigen, nimmt man an, dass diese zunächst einmal ein gemeinsames Merkmal haben, nämlich das, zu den Untersuchungen überhaupt nicht zu erscheinen.
    Nordrhein-Westfalen startet den Modellversuch für das neue Meldesystem des Bundes: Kommen Kinder nicht zu den Untersuchungen, müssen die Kinderärzte das melden und die Daten werden mit den Daten der Einwohnermeldeämter verglichen. Wenn trotz schriftlicher Ermahnungen
die Eltern mit dem jeweiligen Kind nicht innerhalb weniger Wochen bei den Regeluntersuchungen erscheinen, wird das Jugendamt eingeschaltet.
    Â 
    Das heißt für uns frischgebackene Eltern:
    Â 
    1. Wenn wir nicht an den Pranger gestellt werden möchten, vergessen wir das mal ganz schnell mit der Freiwilligkeit, planen unsere Urlaube sorgfältig außerhalb der Meldezeit und nehmen pflichtschuldigst alle anberaumten Termine wahr. Was den meisten Eltern kein Kopfzerbrechen machen dürfte, weil wir sowieso inzwischen alle überzeugt sind, dass nur regelmäßige Kontrollen durch Experten das Beste für unsere Kinder sind, und weil überdies hinaus kaum jemand von uns weiß, dass die Untersuchungen freiwillig sind. Das verschweigen Ärzte gern.
    Â 
    2. Wir können uns darauf verlassen, kontrolliert zu werden. Schädliches Versagen unsererseits bleibt nicht unbeobachtet. Wir können gar nicht großen Blödsinn machen. Man passt auf uns auf. Ja, wären unsere Kinder Salatköpfe, könnte man das »kontrollierten Anbau« nennen.
    Â 
    Die Untersuchungen sind zeitlich so angelegt, dass verschiedene Entwicklungsstufen der Kinder berücksichtigt werden und schwere Fehlentwicklungen und Erkrankungen meist rechtzeitig entdeckt werden dürften. Dabei ist das Kinderuntersuchungsheft in der Mutterschaft das, was der Mutterpass in der Schwangerschaft ist. Dieses gelbe Heft vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen - oder in letzter Zeit auch schlicht »Gemeinsamer Bundesausschuss« genannt - soll Eltern und Kind in den ersten gemeinsamen Jahren begleiten. In ihm werden die Ergebnisse und Messungen der Untersuchungen eingetragen.
    Kinderuntersuchungen sind prima. Es ist für alles gesorgt. Im Prinzip könnten sich Eltern nun relativ entspannt zurücklehnen. Tun sie aber nicht. Im Gegenteil, viele Eltern fangen an zu schwitzen. Denn einerseits sind für einige Eltern die
Texte im Heft der erste beunruhigende Kontakt mit der berüchtigten Fünf-Jahres-Theorie. Gleich auf der ersten Seite des Kinderuntersuchungshefts werden Mütter und Väter auf den Ernst der Lage eingeschworen:
    Â»Wichtig für die Eltern (Erziehungsberechtigte)
    Zweck dieser Untersuchungen ist die Früherkennung von Krankheiten, die die normale körperliche oder geistige Entwicklung Ihres Kindes in nicht geringfügigem Maße gefährden. Früherkennung ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung.
    Bedenken Sie, dass die Entwicklung in den ersten fünf Lebensjahren entscheidend für die spätere körperliche und seelische Gesundheit Ihres Kindes ist.«
    Â 
    Es ist das alte Lied von Krankheit, Risiko und Gefahr, die nur Experten sicher erkennen können. Es reicht nicht, den Arzt um Hilfe zu bitten, wenn das Kind nach Meinung der Eltern krank ist. Wenn die mütterliche Intuition oder der väterliche Instinkt sich melden, könnte es schon zu spät sein.
    Und als wäre das nicht schon beunruhigend genug: Für alle Eltern ist das Kinderuntersuchungsheft eine Art Ergebnisheft, in das der Entwicklungsstand des Kindes schwarz auf weiß über lange Zeiträume festgehalten wird. Die Angst, vielleicht doch nicht ständig das Beste gegeben zu haben, etwas versäumt oder bei seinem Kind übersehen zu haben und dies dann auch noch peinlichst genau

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